Schmetterlingsspiegel (Keshevra's Queendom) (German Edition)
verschluckt.
Sabrìannas Herz schlug in einem raschen Rhythmus, viel zu schnell, doch sie konnte sich nicht beruhigen. Um sie herum herrschte drückende Stille. Sie war sicher, dass Aidan nicht einfach aufgehört hatte zu brüllen, doch sie hörte ihn nicht mehr, und das machte ihr erschreckend deutlich, dass auch niemand sie würde schreien hören, wenn es nötig wurde. Keine Hilfe, sie war allein, ganz auf sich selbst gestellt. Zögernd machte sie einen Schritt, dann noch einen, sah sich suchend um. Sie hatte die Situation nicht wirklich durchdacht, sie war einfach losgegangen, aus dem Gefühl heraus, dass es ihre Pflicht war. Jetzt, allein in der Dunkelheit, umgeben von gefährlichen Pflanzen, Dornenranken und spitzen Ästen, kamen ihr Zweifel daran, wie sie das überhaupt schaffen sollte. Sie hatte panische Angst vor Hunden, und Scary Gary war mehr als das. Aber das durfte sie nicht aufhalten. Erst einmal musste sie ihn finden, und dann würde sie einfach spontan entscheiden, wie sie am Leben bleiben konnte. Irgendetwas würde ihr schon einfallen; wenn Herne nicht an sie geglaubt hätte, hätte er sie sicher nicht allein hier herein geschickt. Oder? Sie dachte einen Augenblick über den Wächter nach, und langsam aber sicher glaubte sie daran. Er wusste etwas, das sie nicht wusste. Darauf musste sie vertrauen. Mit frischem Mut schritt sie rascher aus, trat fest auf die Ranken, die sich um ihre Füße schlingen wollten, kämpfte unablässig gegen die Äste, die sich ihr entgegen reckten, tiefer und tiefer in den lebenden Wald hinein, bis sie plötzlich mitten auf einer Lichtung stand. Um sie herum, drohend aufgerichtet, kahle Bäume, umschlungen von Efeu, das auch den gesamten Boden bedeckte. „H...hallo?“ rief sie unsicher und sah sich um. „Ist hier jemand?“ „Omnivoren sind hier nicht gern gesehen!“ dröhnte es hohl hinter ihr, und sie wirbelte erschrocken herum. „Was?“ quiekte sie erschrocken und versuchte vergeblich sich zusammen zu reißen, mutiger und damit stärker zu wirken. „Pflanzenfresser noch weniger. Aber du brauchst nicht zu denken, dass du dich hier häuslich niederlassen kannst!“ Eine andere Stimme, etwas höher, von der anderen Seite der Lichtung. Wieder fuhr sie herum, doch sie konnte niemanden erkennen. Zu ihren Füßen raschelte es, wie ein vielstimmiger Chor driftete es zu ihr hoch: „Oder Feuer machen, Feuer, Feuer... nein, kein Feuer, sie soll weggehen, weggehen, Feuerbringer, Pflanzenverschlinger, fort mit ihr, fort von diesem Ort!“
Das konnte doch nicht sein – oder? Aidan hatte gesagt, dass der Wald lebte, aber dass er auch sprechen konnte? Das gab es doch nicht. Sie schüttelte sich. Natürlich gab es das, hatte sie nicht die ganze Zeit mit einem Drachen kommuniziert? Als wäre er ein Mensch wie sie, da konnte sie sich doch nun wirklich nicht hinstellen und sich selbst vormachen, dass auch nur irgendetwas anderes unmöglich wäre. Ganz offensichtlich war absolut alles möglich, und gerade das völlig Unvorstellbare lauerte hier an jeder Ecke. „Ich bin nicht hier, um Feuer zu machen!“ versicherte sie schnell. „Warum dann?“ Das war wieder die erste Stimme, also drehte sie sich und adressierte ihre Antwort einfach mal an den besonders gruselig aussehenden Baum: „Ich suche jemanden. Wir sind gemeinsam hier angekommen, er müsste eigentlich noch hier sein, aber hier gehört er nicht hin.“ Das erklärte wohl, warum Scary Gary damals keine Probleme gehabt hatte, sie zu verfolgen: Er war ein Fleischfresser, der Wald fühlte sich von ihm nicht bedroht. Getuschel erfüllte die Luft rings um sie herum, offensichtlich wurde beraten, ob man ihr das glauben konnte. „Es ist ein großer Hund. Er nennt sich Scary Gary – aber ihr kennt ihn vielleicht als Feuerroten Hund des Krieges!“ setzte sie hoffnungsvoll hinzu, vielleicht würde das den Wald ja dazu animieren, ihr zu helfen, auch wenn er zuvor auf Seiten des Hundes gestanden war. Das Getuschel wurde lauter, schien aufgeregter. Ganz offensichtlich wusste auch der Wald, von wem sie sprach. „Ich will ihn mit nach draußen nehmen, in meine Welt! Dorthin zurück, wohin er ins Exil geschickt wurde.“ Schweigen breitete sich aus. Sabrìanna wartete mit angehaltenem Atem auf die Entscheidung des Waldes. Hätte sie vielleicht hinzufügen sollen, dass sie dafür eindeutig Hilfe brauchte? Dass sie Angst hatte, Panik sogar? Nein, sie musste zuversichtlich und stark wirken. Wie jemand, der ein Problem löste,
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