Schmetterlingstod: Kriminalroman (German Edition)
wird.
Ein Zittern
in Lauras Mundwinkeln, doch die Wangen blieben weiterhin trocken. »Du hättest sie
kennen sollen, John. Sie war einfach … fabelhaft. Sie war außergewöhnlich. Sie war
anders als …« Sie seufzte. »Ich kann mir vorstellen, wie platt das jetzt für dich
klingt.«
Ȇberhaupt
nicht«, antwortete er schnell. Und so überzeugend, wie es auch seine Absicht gewesen
war.
»Felicitas
hätte so viel erreichen können. Sie hatte nicht nur einen klugen Kopf. Den haben
alle in unserer Familie, behaupte ich einfach mal. Sie jedoch hatte mehr. Eine Lebensfreude,
die so pur war. Neugier, Leidenschaft, Fantasie.« Wieder dieses bittere Lächeln,
das Lauras Trauer offenbarte. »Und ich hab sie einfach ihr Leben vor sich hinleben
lassen. Einfach so. Es gibt nichts, was schlimmer ist, als diese Alltagsgleichgültigkeit.
Die einen einschläfert, die einen taub macht. Man lebt jeden Tag und merkt abends
gar nicht, dass er zu Ende ist. Dass man einen ganzen Tag einfach so verloren hat.
Nutzlos.« Ihre Hand fuhr durch die Luft. »Ich stelle sie mir immer vor: auf dieser
Straße. Sie geht über eine Straße wie eine Million Mal im Leben zuvor. Und dann
kommt ein Auto und rast über sie hinweg wie über eine weggeworfene Kartoffelchipstüte.
Und zerquetscht sie. Und sie ist tot. Einfach so. Tot. Alles vorbei.«
In diesem
Moment tat es John unendlich leid, dass die Gespräche zwischen ihr und ihm anfänglich
so kalt und hart abgelaufen waren. Auch wenn sie selbst großen Anteil daran getragen
hatte – er hätte nicht vergessen dürfen, dass sie trauerte, dass sie einen Menschen
verloren hatte, den sie liebte.
»Tot«, sagte
Laura erneut. Tonlos. »Von einem Augenblick auf den anderen hört sie auf zu leben.
Zu atmen. Hört auf mit allem. Aus und vorbei. Immer stelle ich sie mir auf der Straße
vor. Sie geht über die Straße und praktisch im gleichen Sekundenbruchteil ist sie
tot.« Sie holte Luft, tief, ganz tief. Und plötzlich sah sie John an, als wäre sie
soeben aus einer Art Hypnose erwacht. »Puuh, was quatsche ich hier eigentlich?«
Mit veränderter, auf einmal betont nüchterner Stimme setzte sie hinzu: »Da rede
und rede ich, und du fragst dich, warum um Himmels willen ich ausgerechnet bei dir
all das ablade.«
Schade,
dachte er, du hast es verpasst. Du hast den Zeitpunkt versäumt, den Tränen nachzugeben.
Aber wer weiß – vielleicht kommt der ja wieder.
»Habe ich
recht?«, fragte sie mit einem befangenen Unterton.
»Nein, hast
du nicht«, sagte er. »Ich glaube, ich weiß nämlich, warum du mir das erzählst.«
»Ach?« Sie
konnte ein leichtes Staunen nicht verbergen. »Und warum, bitte schön?«
»Sicher,
du hast ein paar Freundinnen von früher in der Stadt. Du hättest dich mit ihnen
treffen können, sie hätten dir zugehört. Aber selbst wenn dich heute nicht mehr
sehr viel mit ihnen verbindet – es ist doch zu viel, um dich wirklich gehen zu lassen.
Um einfach mal zu reden und den Kopf dabei auszuschalten. Es wäre dir – wie ich
es vorhin schon andeutete – peinlich gewesen. Vor mir allerdings«, er erlaubte sich
ein Lächeln, »ist dir das im Endeffekt ziemlich egal.«
»Da ist
er ja schon wieder: John Dietz, der Aushilfspsychologe.« Ja, sie hatte sich zurückverwandelt,
äußerst schnell sogar.
»Ich denke,
du hattest gar nicht die Absicht, zu mir zu kommen, oder? Es ist dir eher wie ein
Zufall vorgekommen, dass du auf einmal vor dem Haus gestanden und meine Klingel
gedrückt hast.«
Sie lächelte.
Ironisch. Fast wie eh und je, als hätte es die Worte von eben gar nicht gegeben.
»Was du alles weißt. John, du machst mir Angst.«
Schade,
dachte er erneut. Die Mauer stand beinahe wieder völlig unerschütterlich. Und doch
war etwas verändert, denn dank der letzten Minuten fiel es ihm leichter, Lauras
Ironie einfach abprallen zu lassen. »Eines würde mich wirklich noch interessieren«,
meinte er ruhig. »Was hast du gemacht, seit du gestern aus dem Zug gestiegen bist?«
»Warum fragst
du das?«
»Weil ich
mir nicht vorstellen kann, dass du nichts unternommen hast. Felicitas lässt dir
keine Ruhe. Sie und ihr Leben, nachdem ihr euch verloren hattet, wie du es nennst.«
»Schon möglich.«
»Vorhin
sagtest du, du wärst hilflos gewesen. Ratlos und ziellos.« Er sah sie fragend an.
»Zu der Laura Winter, die ich kenne, passt das nicht.«
»Mag sein,
John. Aber vielleicht bin ich gar nicht die, die du zu kennen glaubst. Und die ich
selbst zu kennen glaubte. Ratlos, ziellos. So
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