Schmetterlingstod: Kriminalroman (German Edition)
Freizeichen erklang endlich die Stimme
von Tante Ju. Zunächst erkundigte sich John, ob ihr noch etwas zu der stummen Maja
eingefallen sei. Wie er es erwartet hatte, war das nicht der Fall. Natürlich nicht.
Doch mit
seinem Anruf zielte er ohnehin in eine andere Richtung. »Kannst du für mich etwas
in Erfahrung bringen, Tante Ju?«
»Kommt drauf
an, Junge.«
»Eigentlich
nicht etwas, sondern eher jemanden.« Er stellte sich ihr aufmerksam zuhörendes,
in Tausende Falten zerfurchtes Gesicht vor und lächelte vor sich hin. »Und zwar
den Mieter oder Besitzer eines Hauses?«
»Also, ich
kann ja so einiges rauskriegen, aber das …«
John nannte
den Straßennamen und dazu die Nummer der Villa in Herdern, in das sich das merkwürdige
Pärchen zurückgezogen hatte.
»Und was
interessiert dich so sehr an dem Haus?«
»Da gehen
komische Leute ein und aus.«
»Komische
Leute! Ha!« Er hörte, wie sie sich mit der Hand auf den Schenkel klatschte. »Ist
das ein neuer Fall oder wie?«
»Eigentlich
nicht.«
»Hat das
was mit meiner stummen Maja zu tun?«
»Nein, wohl
eher nicht.« Ihm war klar, wie vage das klang. »Ich bin einfach nur neugierig.«
»Hmm, du
weißt ja, dass man in der Zeitung alle möglichen Informationen aufschnappen kann.
Mehrere meiner Kollegen wohnen in Herdern. Ich höre mich mal um, ob jemand aus der
direkten Nachbarschaft von dem Haus ist.«
»Das wäre
klasse. Danke.«
»Ach, Junge,
nicht der Rede wert. Und ich kann ja auch nix versprechen.«
Ȇbrigens,
ich hab gleich noch ein Attentat auf dich vor.«
Laut wie
immer lachte Tante Ju in den Hörer. »Nur zu, Johnny. Mich kann doch nichts erschüttern.«
»Meinst
du, du könntest mir heute dein Auto ausborgen?«
»Wenn’s
sonst nichts ist. Der Wagen steht in der Garage. Du kannst dir hier bei der Zeitung
den Schlüssel abholen, wann du willst. Weißt ja, dass ich immer mit der Bahn zur
Arbeit fahre.«
»Das ist
supernett von dir. Tausend Dank.«
»Komm einfach
vorbei, Johnny.« Sie ließ erneut ihr berühmtes Propellerlachen ertönen. »Und nie
vergessen: Vertrau auf deinen Riecher.«
Das ist
leichter gesagt als getan, dachte er nur.
Anschließend
bezahlte er den Milchkaffee und erlag dabei nicht der Versuchung, dem jungen Mann,
der ihn auch heute bediente, Felicitas’ Foto zu präsentieren und zu fragen, ob er
sie kannte. Er stattete Tante Ju einen raschen Besuch ab, um ihren Autoschlüssel
an sich zu nehmen, und dann kümmerte er sich um Elvis. Es war gegen ein Uhr, als
er am Bertoldsbrunnen in die Straßenbahn in Richtung Habsburgerstraße und Zähringen
sprang.
John wohnte
seit etlichen Jahren im Freiburger Norden, im Stadtteil Zähringen. Es war dieselbe
Wohnung, die er einst mit seiner Mutter geteilt hatte, ein enges Reich in der zweiten
Etage eines gewöhnlichen Blocks mit dem tristen Wohnzimmerblick auf einen Friedhof
– im Stockwerk darunter befand sich Tante Jus privates Domizil. Als er zu Hause
eintraf, dachte er noch an den Fremden, der ihm eben auf der Straße über den Weg
gelaufen war. In dieser stillen Ecke der Stadt traf man normalerweise immer auf
dieselben Leute. Dieser Mann jedoch war ihm aufgefallen. Eleganter Anzug, teure
Slipper, schwarzes Haar, dunkle, starr an John vorbeistierende Augen. Woher kenne
ich den?, fragte sich John noch, während er die Wohnungstür aufschloss und ihn ein
Duft empfing, wie ihn nie zuvor dieses Junggesellenheim erfüllt hatte.
»Ich hoffe,
du hast Hunger.« Laura Winter kam ihm zwei Schritte durch den Flur entgegen, die
Wangen von Küchendämpfen gerötet, die Ärmel bis zu den Ellbogen nach oben geschoben.
War das wirklich dieselbe Frau, die ihm vor Kurzem auf ziemlich frostige Art einen
Auftrag erteilt hatte?
»Ich habe
tatsächlich Hunger«, antwortete er perplex.
Auf beinahe
vertrauliche Art saßen sie beieinander am Küchentisch. Laura hatte nicht nur gekocht,
sondern zuvor großzügig eingekauft. »Bier, Apfelsaft und Senf«, meinte sie, sogar
völlig ohne Spott. »Mehr war in deinem Kühlschrank nicht aufzutreiben. Also bin
ich schnell mal einkaufen gegangen.«
Er beugte
sich vor, öffnete vom Stuhl aus die Kühlschranktür und schloss sie angesichts der
überquellenden Lebensmittel sofort wieder. Wie lange ernährte er sich bereits von
Fertigpizza, Uschi’s Sushi und Ali Babas Döner? Viel zu lange.
Offensichtlich
hatte Laura ein schlechtes Gewissen – wegen der Ängstlichkeit, die sie offenbart
hatte und die gerade an einem herrlichen Frühherbsttag wie diesem
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