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Schmidt Liest Proust

Schmidt Liest Proust

Titel: Schmidt Liest Proust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Schmidt
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Geburtstagsgeschenke jeweils eines Jahres in einer Vitrine aufbewahrt, dann wird aus dem ganzen Plunder Information. Man bekam sofort Lust, sich auch solche Spiele auszudenken, zum Beispiel der Freundin ihren Urlaubskoffer selbst zu packen, und sie muß dann anziehen, was man ihr mitgegeben hat.
    Ich habe damals ein paar Wochen lang bei der »Chaussee der Enthusiasten« Werbung für diese Ausstellung gemacht, die mir dem, was wir manchmal mit Texten versuchen, nicht unverwandt vorkam, aber niemand ist hingegangen, mein Wort gilt nichts. Überrascht war ich, als ich später erfuhr, daß Paul Auster in einer Figur in »Leviathan« Sophie Calle porträtiert hat. Daraufhin habe sie Aktionen durchgeführt, die er dieser Figur angedichtet hatte. Und sie habe ihm vorgeschlagen, ihr exakte Lebensregeln für ein Jahr zu schreiben. Er hat ihr ein: »Gotham Handbook – personal instructions for SC on How To Improve Life in New York City (because she asked …)« geschrieben, zum Beispiel Unbekannte anzulächeln. Sie hat das alles befolgt und den Aufenthalt mit einem Essen mit ihm gekrönt. Ich war neidisch auf Auster, weil er so bekannt war, daß er einfach Sophie Calle kennenlernen konnte. Und ich erinnerte mich wieder, als ich in New York für ein paar Wochen im winzigen Atelierraum einer jungen Berliner Künstlerin wohnen durfte (nie schlief ich so schlecht wie zwischen ihren eigenartigen Objekten aus Quietschpappe), zum Dank eine Liste mit Aktionen hinterlassen zu haben – in so einer Stadt drängte sich einem der Wunsch auf, sein Leben in Kunst zu verwandeln. Sie hat dann meine Schrift gar nicht lesen können.
    Gestern war ich wieder in einer Ausstellung im Gropius-Bau, inzwischen habe ich mir nach Jahren ja auch endlich gemerkt, welcher U-Bahn-Ausgang am Potsdamer Platz wohin führt. Der Ausflug war für mich schon deshalb ein Erfolg, weil ich nicht vor verschlossenen Türen stand, es passiert mir oft, daß Veranstaltungen, zu denen ich mich nach langem Ringen aufmache, dann gar nicht stattfinden. Ich betrachte ja auch ein Rendezvous als Erfolg, wenn die Frau gekommen ist, alles Weitere kann dagegen eigentlich nur noch enttäuschen, es wäre besser, man würde sich gleich wieder auf den Heimweg machen.
    Rebecca Horn soll eine der wichtigsten deutschen Künstlerinnen sein, und sie kommt aus dem Odenwald, also ganz aus der Nähe von Mannheim, erstaunlich genug, daß man dann etwas anderes werden kann als Nagelstudiobetreiberin. Die Ausstellung zeigt Objekte aus vielen Jahren, bei denen auffällt, daß sie immer größer werden. Gegen Ende vollführen meterlange Metallstifte, von Motoren angetrieben, komplizierte Bewegungen. Manchmal schwenkt so ein Stift direkt auf den Betrachter, und man bekommt Angst, den Selbstschußmechanismus auszulösen.
    Ich bin ja immer ein bißchen neidisch, wenn Künstler Objekte bauen dürfen, die so groß sind, daß sie sie schon deshalb verkaufen müssen, weil sie sie zu Hause gar nicht aufbewahren könnten. Ich kann es mir nicht leisten, Sachen aufzuheben und schmeiße immer alles weg, was sich zum Objektbauen eignen würde. Vielleicht ist das der falsche Weg, und ich sollte daraus etwas basteln, es verkaufen und mir für den Gewinn eine größere Wohnung leisten?
    Hier und da beklecksten Automaten die weißen Wände mit Farbe, zum Beispiel das »Salomé«-Objekt, ein Auftragswerk für Irland. Ein unter der Decke angebrachter Federpinsel, der »von irischer Elektrizität erschreckt« in Farbe taucht und Werke von Oskar Wilde bespritzt, die von zwei darüber schwebenden Straußeneiern beschützt werden. Das brachte mich auf einen neuen Eintrag in meiner Liste möglicher Wetten für »Wetten, dass …?«: »Jochen Schmidt behauptet, er könne nur am Geschmack des Stroms aus der Steckdose erkennen, in welchem Land der EU er sich befindet.«
    Am meisten hat mich eigentlich der Mechanismus interessiert, von dem die Objekte angetrieben werden. Wie bewegt man mit einem kleinen Elektromotor von der Art, wie ich sie als Spielzeug hatte, mit ausgeklügelten (aber für Feinmechaniker sicher ganz standardmäßigen) Kurbelübersetzungen zwei Schmetterlingsflügel auf und ab? Die Künstlerin soll mehrere Techniker beschäftigen, die ihr ihre Objekte zusammenbauen. Ich kann mir nicht helfen, aber ich hätte gerne mehr über die Arbeit dieser Techniker erfahren und weniger von Rebecca Horns Gedichten gelesen. Trotzdem fand ich das Mädchen rührend, das, seine mit Turnschuhen bekleideten Füße nach

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