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Schmidt Liest Proust

Schmidt Liest Proust

Titel: Schmidt Liest Proust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Schmidt
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Dialogtext eines anderen »aufmerksam zu folgen«. Sie wanken auch immer so eigenartig breitbeinig voran, als fürchteten sie, jederzeit von einer Flutwelle erfaßt zu werden.
    Ich muß inzwischen bei solchen subventionierten Kulturereignissen immer zwanghaft durchzählen, wieviel Zuschauer gekommen sind und ausrechnen, wie hoch der Eintrittspreis sein müßte, damit man unter normalen Bedingungen alle Beteiligten anständig bezahlen könnte. Subvention ist doch Wettbewerbsverzerrung, wenn nicht Diebstahl, sage ich, solange ich selbst nicht davon profitiere.
    In der DDR hat man im Theater aufgeatmet, die Aufmerksamkeit der Zuschauer war zum Greifen, man genoß das Gefühl, daß man mit denen da oben in einem Boot saß und sie sich stellvertretend für uns etwas herausnahmen. Außerdem lebten sie ein etwas glanzvolleres Leben, um das man sie beneidete. Aber dazu kam, daß sich am DT die besten Schauspieler des Landes sammelten, fast jeder hatte seinen eigenen Stil entwickelt, einen Manierismus, mit dem er seine Rollen spielte. Man erkannte sofort, ob jemand dort hinpaßte oder nicht, ob er ein echter DT-Schauspieler war oder nur Fußvolk. Wenn ich mir das Informationsheft des Theaters jetzt angucke und – wie ich in den Neunzigern noch lange in Drittligamannschaften nach Namen aus der DDR-Oberliga gesucht habe – nach mir bekannten Namen suche, sind nur wenige von früher geblieben und nicht unbedingt meine Favoriten.
    In der Wendezeit standen wir einmal an einem Sonnabendnachmittag vor dem DT in der Vorverkaufsschlange für den nächsten Monat, als Ulrich Mühe eine Wiener essend aus dem Theater kam. Er blieb auf dem Vorplatz stehen und aß seine Wurst zu Ende, dann warf er die Pappe in einen Mülleimer. Als er weg war, diskutierten wir ernsthaft, ob wir die Pappe herausfischen und aufbewahren sollten, so sehr verehrten wir das Theater und diesen Schauspieler.
    Die Welt der Guermantes, S. 588–608
    Nur die Plumpheit des Herzogs und die Sottisen seiner Frau machen das Salon-Gerede halbwegs unterhaltsam. Wenn zum Beispiel Oriane ihren Mann unterbricht: » Gereizt durch diese Unterbrechung nahm der Herzog seine Frau ein paar Sekunden unter das Feuer eines drohenden Schweigens. «
    Die neueste abgelegte Geliebte des Herzogs ist die anwesende Madame d’Arpajon. Oriane hat natürlich kein Mitleid mit ihr. Als es heißt, die d’Arpajon schwärme für Dichtkunst, berichtigt Oriane: » Sie wird literarisch, seitdem sie sich verlassen fühlt. […] zu mir kommt sie jedesmal und jammert, wenn Basin sie nicht besucht, das heißt fast alle Tage. Dabei kann ich doch nichts dafür, wenn sie ihm langweilig wird; ich kann ihn nicht zwingen, zu ihr zu gehen, obwohl mir lieber wäre, er hielte treuer zu ihr, denn dann müßte ich sie weniger häufig sehen. «
    Man kann nur die Gelassenheit bewundern, mit der man in diesen Kreisen dem Thema Fremdgehen begegnet. Das wäre vielleicht die These wert, daß das Bürgertum keineswegs zur Lockerung der Sitten beigetragen hat, sondern Partner im Gegenteil viel verkrampfter als der Adel als Besitztum definiert.
    Marcel gefällt die zupackende Wortwahl Orianes, für ihn liegt darin » der ganze provinzielle Ursprung eines Teils der Familie Guermantes, der, länger bodenständig, auch kühner, ungezähmter und herausfordernder geblieben war «. Ein Adel, der » lieber mit seinen Bauern als mit Bürgern auf gleichem Fuße verkehrt «. Ihre Rede strömt für ihn pointiert und klar, » als wenn man ein altes Volkslied hört «. Ihr Geist hat die verführerische Kraft geschmeidiger Körper behalten, » die durch keine nagende Gedankenarbeit, keine seelische Beunruhigung oder Nervenreizung verändert worden sind «.
    Was Orianes Salon zu solch einem erlesenen Ort macht, wird zumindest aus den Gesprächen seiner Besucher nicht deutlich. Man lästert und handelt die neuesten Themen aus Kunst und Literatur ab. Man spricht über Hugo (welche seiner Phasen ist noch akzeptabel?) und über Elstir, den der Herzog, obwohl er seine Bilder besitzt, im Grunde gar nicht schätzt. Swann hatte ihnen zu dieser Anschaffung geraten: » Swann hatte tatsächlich die Stirn, uns zum Kauf des Spargelbunds zu raten. Wir haben das Bild daraufhin sogar ein paar Tage im Hause gehabt. Es war nichts weiter als das darauf, ein Bund Spargel, genau wie der, den wir gerade schlucken, die Spargel von Herrn Elstir aber habe ich nicht geschluckt. Er verlangte dreihundert Francs dafür. Dreihundert Francs für ein Bund Spargel! Einen

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