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Schmidt Liest Proust

Schmidt Liest Proust

Titel: Schmidt Liest Proust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Schmidt
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Hochhäuser fiel. Ob man sich irgendwann auch an so einen berauschenden Anblick gewöhnen würde wie an die Fassade der Schönhauser Allee Arcaden? Seltsam fand ich, wie alt die Installationen im Bad wirkten, ich hatte immer gedacht, der Westen sei so makellos wie das, was sie uns seit der Wende überall hinbauen.
    Ist die Freude am Leben überhaupt noch zu trennen von dem Moment, wenn man einen Gedanken oder sogar eine Textidee hat? Das wäre doch für einen Autor verdächtig. Meine Tochter freut sich noch, wenn im Radio »Berlin« gesagt wird, und sie wiederholt das Wort dann eine halbe Stunde. »Berliner Zeitung, was isn das?« Gute Frage. Und »Acht acht acht«, wenn der Radiosender seine Telefonnummer ansagt, ich hoffe, das hört irgendwann auf, wenn sie auch den Rest der Wörter versteht. Ob sie schon weiß, was der Unterschied zwischen einer Stadt und einer anderen ist? Ich dachte ja noch in der vierten Klasse, die Metro verbinde alle Städte der Sowjetunion miteinander.
    Es ist seltsam, ungewollt die Rolle eines Feldwebels zu spielen, wenn man morgens jemanden zu jeder Bewegung antreiben muß, als würde man an einem Knetfigurenanimationsfilm arbeiten und müßte die Figur Einstellung für Einstellung modellieren. Und das, während ich mich frage, ob es meine Schuld ist, daß sie wieder eingepullert hat. Aber noch sind wir ja in der Phase unserer Beziehung, wo ich sowieso an allem schuld bin. Meine Rache war dann die Frage an sie, wie die Kacke in den Po gekommen ist, die gerade in dem Moment raus mußte, als wir losgehen wollten. Daran wird sie eine Weile zu knabbern haben.
    Die Welt der Guermantes, S. 608–629
    » Die Herzogin aber behandelte ihren Mann mit jener Art Kühnheit, welche Dompteure oder Menschen, die mit einem Verrückten zusammenleben und nicht fürchten, ihn zu reizen, in sich zu entwickeln pflegen «. Besser ist die Art, wie sich bestimmte Eheleute verhalten, nie beschrieben worden. Die Herzogin ist aber auch sonst ein unterhaltsames Schandmaul. Über Saint-Loup sagt sie: » Er wäre nicht einfältiger als irgendein anderer, wenn er wie so viele Leute von Welt den Verstand besäße, einfach dumm zu bleiben. Nur dieser Anstrich von Wissen ist fürchterlich. « Und außerdem mache er in seinen Briefen Tintenkleckse. Und über die verstorbene Kaiserin von Österreich (unsere Sissi also) heißt es: » Ich habe niemals begriffen, weshalb sie sich nicht ein gutsitzendes Gebiß gekauft hat, ihres ging immer los, bevor sie ihre Sätze beendet hatte, sie mußte sich unterbrechen, um es nicht zu verschlucken. «
    Aber Marcel ist auch kein einfacher Gast. Obwohl es im Sommer bei der Madame traditionell immer nur Orangeade gibt, gelingt es ihm, noch eine Karaffe mit Kirsch- oder Birnensaft zu ergattern: » Ich hegte feindselige Gefühle gegen den Fürsten von Agrigent, weil er, wie alle Leute, denen es an Phantasie, doch nicht an Begehrlichkeit fehlt, bewundernd betrachtete, was ich da trank, und um die Erlaubnis bat, auch davon zu kosten. Auf diese Weise verminderte der Fürst von Agrigent jedesmal meine Ration und verdarb mir die Freude daran. Denn dieser Fruchtsaft ist niemals in genügend großer Menge vorhanden, um den Durst zu stillen. « Hier fühle ich mich ihm zum ersten Mal richtig nahe, nichts ist so lästig wie Fürsten, die bewundernd betrachten, was man da trinkt. Ich kenne aber jemanden, der sein Getränk sogar doppelt genießt, wenn er damit Begehrlichkeiten anderer weckt. Freude daran zu empfinden, anderen etwas abzugeben, muß eine sehr hohe Bewußtseinsstufe sein, jedenfalls hat man sie mit drei Jahren noch nicht erklommen.
    Nachdem Elstirs Spargelbund vom Herzog so schnöde verspottet wurde, erklärt die Herzogin, wie sehr sie die Bilder von Frans Hals bewundert: » Ich möchte sagen, daß jemand, der sie nur von der oberen Plattform einer Straßenbahn aus, ohne anzuhalten, im Freien ausgestellt sähe, noch vor Staunen die Augen aufreißen würde. « Ein interessanter Gedanke, man sollte die Erzeugnisse der modernen Kunst generell auf schnellen Fahrzeugen an den Betrachtern vorbeirasen lassen. Für Marcel ist die Idee allerdings inakzeptabel: » Diese Wendung schockierte mich als vollkommene Verkennung der Art und Weise, wie sich künstlerische Eindrücke bilden, denn sie schien vorauszusetzen, daß unser Auge nur ein einfacher Registrierapparat sei, der Momentaufnahmen macht. « Aber ist es nicht so?
    Unklares Inventar:
    – Ein Sessel mit Wedgewood-Inkrustationen, eine Partie

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