Schmidt Liest Proust
Roman-Bekanntschaften. Morel hat für Charlus kleine Gemeinheiten über die Gräfin Molé in die Zeitungen lanciert. » Die junge Frau starb darüber. « Auch der Tod der Fürstin Scherbatow wird nebenher erwähnt, allerdings hatte sie die Unhöflichkeit, um sechs Uhr zu sterben, also vor dem Salon bei den Verdurins, weshalb ihr Ableben erst einmal ignoriert wird, um die Stimmung nicht zu trüben.
Unklares Inventar:
– Entrefilets.
Katalog kommunikativer Knackpunkte:
– » ›Aber sicherlich wird er wiederkommen, wir verlangen es einfach, er darf nicht fehlen‹, erklärte Monsieur de Charlus mit dem autoritativen und verständnislosen Egoismus der Liebenswürdigkeit. «
Verlorene Praxis:
– In jedem Restaurant vom Kellner zärtliche Briefchen von mindestens drei Damen gebracht bekommen.
Selbständig lebensfähige Sentenz:
– » Da er im übrigen sehr klug war, lag ihm an der Unterhaltung eines ebenfalls klugen Menschen nicht viel. «
134 . Mi, 6.12., Berlin
Wegen der »Curb«-Staffel stand der Fernseher noch aufgebaut, ich habe also schließlich doch noch die WM-Dokumentation gesehen und bin unter meinem Niveau gerührt gewesen. Es gab doch auch gute Kriegsbücher von reflektierten Menschen, warum gibt es keine Fußballer, die sich zu dem, was sie erleben, anders als mit Floskeln äußern können, die sie selbst aus dem Fernsehen übernommen haben? Wenn ich eine Gruppe von Menschen um ein gemeinsames Ziel kämpfen sehe, werde ich aber immer weich. Erstaunlich, wie die Erinnerung an die Zeit der WM schon wieder verblaßt, unsere Gegenwart hallt einfach nicht nach, es ist alles zu banal.
Je herrlicher der Sommer leuchtete, umso mehr machte er mir Angst vor dem kommenden Winter, ich hatte also wenig Freude daran. Man bekam nur Panik, das Geschenk einer solchen Pracht nicht richtig zu nutzen. Jeder allein verbrachte Abend weckte Schuldgefühle. Immerhin konnte man diesmal Fußball gucken gehen, und der Rest war die Zeit zwischen den Spielen. Ich habe fast alle Spiele am selben Tresen gesehen, und es war hart, danach allein nach Hause zu gehen, wenn die Straßen sich mit immer mehr Frauen füllten, die immer weniger anhatten. Aber die Zuteilung stimmte nicht, denn schon rein rechnerisch mußte irgendeine davon mit mir zusammen sein. Im Stadion schwenkte die Kamera ständig auf ekstatische Frauen, die Bikinis in den Farben der beteiligten Nationen trugen, und man zählte im Kopf ängstlich die verbleibenden Spiele durch, weil für die Zeit danach noch keine Lösung gefunden war.
Es war eigentlich eine sehr bedrückende Zeit, was durch die Perfektheit der äußeren Bedingungen noch unterstrichen wurde. Ohne Liebe fehlte die Lebensfreude. Deshalb muß man es sportlich sehen, wenn es jetzt nicht klappt, und für die Gefühle dankbar sein, auch wenn sie einem den Schlaf rauben, wenigstens hat man mal wieder mitgespielt. Es gehört eben auch Glück dazu, ein großes Turnier zu gewinnen. Und es gibt keine leichten Frauen mehr.
Mir tut es nur leid für meinen Trainer, dem ich so viel verdanke. Er hat hier wirklich einen tollen Job gemacht, auch wenn es am Ende nicht ganz gereicht hat. Wie er mich immer wieder motiviert hat: »Junge, die hat die Hosen voll! Die spürt deinen Atem im Nacken! Das ist dein Ding hier, und das läßt du dir von niemandem nehmen, von niemandem auf der Welt! Die anderen, die da auch noch mitmachen dürfen, die interessieren uns gar nicht, weil das deine Party ist! Wichtig ist, daß du deine Gefühle durchsetzt. Du hast dir sieben Wochen den Arsch aufgerissen, und jetzt willst du die Belohnung dafür! Und wenn du hundertzehn Prozent gibst, dann packst du das auch. Du bist ein Team! Du bist ein Team! Du bist ein Team!«
Und auch nach der kurz vor dem Ziel erlittenen Niederlage (einen Moment der Unaufmerksamkeit hatte sie genutzt, um sich meiner Bewachung zu entziehen), fand er noch in der Kabine die richtigen Worte: »Ich weiß, wie du dich jetzt fühlst, du bist natürlich wahnsinnig enttäuscht. Aber es gibt gar keinen Grund, den Kopf hängenzulassen. Ich bin wirklich stolz auf dich, wie du hier aufgetreten bist, und du merkst ja, was du für eine Euphorie ausgelöst hast, das gab’s noch nie in Deutschland, das ist der Hammer! Aber wirklich der Hammer! Vielleicht wirst du später mal sehen, daß es dir wahnsinnig was gebracht hat, wie du hier an ein Ziel geglaubt hast und wie du dich reingehängt hast. Und egal, ob du sie nun bekommst oder ob du Dritter oder Vierter wirst, da ist was
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