Schmidt Liest Proust
ihr zeigt, ist eine » kleine, abscheuliche, bucklige Person mit einem ganz roten Gesicht «.
Unklares Inventar:
– Skizzen von Maxime Dethomas.
Katalog kommunikativer Knackpunkte:
– » Madame de Villeparisis bewahrte während einiger Minuten das Schweigen einer alten Frau, der es infolge der Müdigkeit des Alters schwerfällt, sich aus der Rückerinnerung an die Vergangenheit von neuem zur Gegenwart zu erheben. «
Verlorene Praxis:
– Zum ersten Mal andere Werte haben als ein dem Sport gewidmetes Dasein.
– Sich mit jener senilen Beharrlichkeit gewisser Achtzigjähriger über die eine oder andere auslassen, die von einem nichts mehr zu befürchten hat.
158 . Di, 2.1., Berlin
In unserer Wohnung stand ein Museumsschrank, der an besonderen Tagen aufgeschlossen wurde, damit wir die Schätze betrachten konnten. Wie bei den Renaissance-Wunderkammern war der Inhalt nicht unbedingt wertvoll, aber kurios und lehrreich, vor allem hatten alle Gegenstände etwas mit unserer Familie zu tun.
Ein Stück vom ersten Atlantikkabel.
Mit Sanssouci-Motiven bemaltes KPM-Geschirr aus dem achtzehnten Jahrhundert.
Morgensternförmige Wassernußkerne, die der Urgroßvater in der Umgebung seines Dorfes ins Wasser warf, weil er diese Pflanze für nützlich hielt.
Ein getrocknetes Seepferdchen.
Eine Spielzeugwanduhr und Polsterstühlchen von der Großmutter.
Eine fischig stinkende Krabbe.
Zwei winzige Heiligenbildchen in Öl aus dem achtzehnten Jahrhundert.
Ein Lederetui mit dem Schwanzende und dem Giftzahn einer Klapperschlange.
Ein Steinbeil.
Verschiedene Siegel, darunter ein barockes aus Messing mit einem roten Halbedelstein, in den die Arche Noah geschnitzt war.
Eine silberne Taschenuhr zum Aufklappen vom Großvater.
Eine südafrikanische Silbermünze.
Eine Dollarmünze.
Eine echte Lappenmütze, von einem Volk, das tatsächlich so hieß.
Ein runder, federleichter Bezoarstein aus dem Magen einer Kuh.
Eine Dose mit unseren Milchzähnen.
Die Gipsabgüsse unserer Füße vom Orthopäden.
Ein Stück blauweißer japanischer Stoff.
Chinesisches Porzellan mit kleinen Reiskorn-Ornamenten.
Vom Großonkel meines Vaters geerbt: emaillierte Salzschüsseln aus Rußland.
Eine Litophanie, mit der das Kerzenlicht am Krankenbett gedämpft wurde. Mit einem Berliner Eisenständer und einer gerahmten Porzellanscheibe, auf der die Platane zu sehen war, die immer noch dort steht, wo das DDR-Außenministerium früher stand.
Eine Elle mit Perlmuttknöpfen als Maßangabe.
Ein gewebtes Band von bolivianischen Andenindianern.
Ein langer Weihnachtsbaumkerzenlöscher.
Eine Lichtschere mit angelötetem Näpfchen für den Docht.
Tassen aus einer Nebenfabrik von KPM, mit Ansichten vom schlesischen Schloß Carlsruhe, wo der Ururururgroßvater Schloßkastellan war.
Aus Omas Nähkästchen knöcherne Gerätschaften zum Sticken und Klöppeln.
Ein Pfeifenputzsatz.
Ein Rasiermesser.
Ein Porzellanpfeifenkopf von einer Deckelpfeife mit einer Handmalerei von Burg Giebichenstein.
Eine im Ersten Weltkrieg von russischen Kriegsgefangenen gebastelte Holzscheibe, auf der Hühner pickten, wenn man die an einer Schnur befestigte Kugel schwang.
Vom Urgroßvater Bergkristalle aus den Dolomiten, die aussahen wie Edelsteine, aber nichts wert waren.
Ein Schlagring, den die Großmutter in der Nachkriegszeit immer auf dem Nachttisch hatte.
Ein weißes Porzellanbein, das als Votivgabe für die Kirche gedacht war, wenn man für seine Gliedmaßen beten wollte.
Ein metallener Reliefkopf von Leibniz aus der Schinkelzeit.
Eine Porzellantasse mit einem gemalten »Vielliebchen«, einer Doppelmandel.
Eine echte römische Öllampe (auf die der Urgroßvater »römische Öllampe?« geschrieben hatte)
Eine Handspindel aus einem Holzstab und einem runden, tönernen Wirtelstein zur Stabilisierung.
Ein Opernglas.
Der Schrank hatte Bohrwürmer, und mein Vater hat ihn damals mit DDT-haltigem DDR-Holzschutzmittel behandelt. Wir haben sogar daran geleckt, weil es so interessant schmeckte. Später erfuhr man von der verheerenden Wirkung von DDT, und wir glauben seitdem, daß wir alle vergiftet sind.
Die Entflohene, S. 276–297
Börsengeschäfte, die Marcel, um Albertine Annehmlichkeiten zu ermöglichen, von einem Makler hatte unternehmen lassen, haben sein Vermögen auf ein Fünftel reduziert. Das würde die Leute in der Combrayer Sphäre schockieren, während man in der Welt der Guermantes » die Armut zwar gleichfalls als unangenehm, jedoch keineswegs als
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