Schmidt Liest Proust
sei auch »so« und habe seinem Geliebten, als der sich von ihm trennen wollte, sein Haus in Wuppertal geschenkt. Hing so an seiner Mutter, daß er ihr Grab selbst gestaltet und aufgehäufelt habe. Als sie dort zu Gast war, sei sie zum Frühstück mit »Don Giovanni« geweckt worden. Für mich hatte er ihr damals einen schönen, braunen Wollpullover mitgegeben, den ich jeden Mittwoch zur Konfirmandenstunde trug, wenn es darauf ankam, bestimmte Mädchen zu beeindrucken.
Wie es wohl wirkt, wenn man in Amerika sagt: »I like Beuys«?
Dann sehen meine Eltern diese Serie über das dramatische Leben einer Porzellangestalterin, alle Szenen sind mit Musik unterlegt und ständig wird unglücklich geliebt. Ein Mädchen ist von zu Hause abgehauen, weil sie Fotos gesehen hat, die beweisen, daß ihre Mutter etwas mit ihrem Freund hat. Sofort quält mich die Vorstellung, als sei ich selbst betroffen.
Einen Königsberg-Bildband angesehen und mich an bessere Zeiten erinnert, die schönen Tage in Kaliningrad, Joggen um den Schloßteich, in der Nachmittagssonne auf dem Rückweg vom Russischkurs allein durch die halbverlassenen Hafenanlagen streifen, es war das reine Glück. Plattenbaubalkons voller Sperrmüll, das Dom Sowjetow in der Abendsonne, Bier aus Flaschen am Panzerdenkmal vor dem Wohnheim. Aber dort war ich auch zum ersten Mal L. begegnet, die mir später solchen Kummer bereitet hat. Vielleicht hat mich die Selbstverständlichkeit gereizt, mit der sie als Gruppensprecherin auftrat, weil sie ein Jahr in Rußland studiert hatte. Später sagte sie, ich hätte wie ein Eigenbrötler gewirkt, dabei war ich die ganze Zeit bestrebt gewesen, ihren Weg zu kreuzen.
Im »Schwarzsauer« den begehrten Fensterplatz ergattert, aber kaum sitze ich, kommt eine zehnköpfige Touristengruppe herein, und ich werde gefragt, ob ich umziehen würde, damit sie die Tische zusammenrücken können. Diese Art Angebote, die man nicht ablehnen kann. Murrend wechsle ich mit meiner Zeitung den Platz, ich könnte ja auch überall zu zehnt anrücken, um sicher zu gehen, meinen Lieblingsplatz zu bekommen.
Zeitung:
– Der »Danziger Kant« ist Streuobst des Jahres. In Alt-Lipchen stand ganz hinten im Garten ein Baum, besonders beliebt für Apfelkartoffeln. Verführerischer Gedanke, alles hinzuwerfen und in einer Baumschule zu lernen, aber die Bar spielt »My Hump«, und ich muß sofort an das Video und den Hüftschwung der Sängerin denken, und dagegen kommt kein Apfel an.
– 1966 fand die letzte WM im Feldhandball statt, ein Spiel BRD gegen DDR vor 10 000 Zuschauern. Der US-Spieler Joe Kaylor hat einmal eines der im Handball so seltenen Eigentore geworfen, weil ihm nach der Halbzeitpause entgangen war, daß die Seiten gewechselt worden waren, er traf zum 0:18.
– Krankenschwestern seien berufsbedingt eine bevorzugte Klientel von Partnerschaftsdiensten. Und mich wollte meine damals nicht!
– Zahnärzte seien eine besonders suizidgefährdete Berufsgruppe, weil sie irgendwann merkten, daß Geld nicht glücklich mache.
Verdächtig, wenn mir die Zeitung interessant vorkommt, da sie ja objektiv gesehen immer gleich interessant ist. Es muß also an mir liegen.
Der Kellnerin mit viel Überwindung ein »gesundes Neues« gewünscht, und sie hat es sogar gehört. Das mache ich nächstes Jahr wieder.
An der Buchholzer vorbei, wo ich damals bei meiner Schwester gewohnt habe. Einmal mehrere Stunden zunehmend verzweifelt nach einem Schlüssel für den Dachboden gesucht, weil ich mir einbildete, in einer Sommernacht auf einem Häuserblock sitzen zu müssen wie der Gott der Stadt bei Heym, um dort oben von den Sternen die Eingebung für ein Gedicht zu empfangen. Sogar in den Nachbaraufgängen geklingelt. Schließlich lange nach Mitternacht müde ins Bett gefallen und das Gedicht nie geschrieben.
Spontan zu H&M, inzwischen habe ich ja kaum noch andere Kleidungsstücke. In der Kabine wieder geschockt von meiner Frisur, nur nach langem Modellieren ist ein akzeptabler Zustand zu erreichen, der aber realistisch gesehen unter normalen Bedingungen, also Wind, Mützen, heftige Kopfbewegungen, falsche Blickwinkel des Betrachters, nie besteht. Immerhin sehen alle Sachen gut aus, was aber daran liegen könnte, daß die alten so schlecht aussehen. Leider ist die EC-Karte abgelaufen, und ich muß noch einmal nach Hause, die neue holen, und, weil ich das Schreiben dazu nicht finde, zur Sparkasse, wo ich erfahre, daß sich die Geheimzahl diesmal gar nicht geändert hat. Dann
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