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Schmidt Liest Proust

Schmidt Liest Proust

Titel: Schmidt Liest Proust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Schmidt
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Bett Liegenden verdroschen. Daraufhin hatten sie Ruhe, und der Mann bestand darauf, Ulfs Frau die Einkaufsbeutel zu tragen. (Die Geschichte hat er mir erzählt, als ich selbst Ärger mit einem Nachbarn hatte, ich bin aber schließlich umgezogen.)
    Ulf war lange Kulissenschieber und hat noch mit Heiner Müller gezecht und ihn fotografiert. Weil er dazu neigt, sich zuviel aufzuladen, hat er sich den Rücken verhoben. Deshalb lebt er jetzt vom Fotografieren, auch darin ist er Autodidakt. Vor der Wende durfte er einmal mit dem DT zu einem Gastspiel in den Westen reisen und ist abgehauen. Seine Frau hatte ihm für ein Jahr freigegeben, danach wollte er versuchen, irgendwie wieder ins Land zu kommen. Er vagabundierte gerade durch Frankreich und Spanien, als die Mauer fiel. Weil er trotzdem nicht zurückkam (das Jahr war ja noch nicht um), trennte sich seine Frau von ihm.
    Mit der Tochter einer Verflossenen hat er jetzt wieder zwei Kinder. Mit ihr war er auch in Indien, wo er fast gestorben wäre. Bauchspeicheldrüse, Leber, falsche Diagnose, fast hätten sie ihn vergiftet, er mußte aus dem Krankenhaus fliehen und wog zu Hause nur noch die Hälfte. Manchmal packt es ihn, und er fährt spontan mit einem alten Damenfahrrad nach Litauen. Obwohl er kein Polnisch kann, wird er unterwegs überall eingeladen. Einmal mußte er so viel Wodka trinken, daß er die Nacht quer auf der Fernstraße liegend verbrachte und nur durch Glück nicht überfahren wurde. Er würde für solch eine Reise nie ein besseres Fahrrad benutzen, es gefällt ihm ja gerade, sich abzukämpfen. Ein Mann aus dem Osten, wie sie nicht mehr nachwachsen.
    Oder hat sie einen aus dem Westen? Mit Cabrio, Dachgeschoßwohnung und Lieblingswein? Und ich konnte ihr nur ein Stück Quietschpappe zu Weihnachten schenken. Aber es hatte doch geklungen wie früher.
    Die wiedergefundene Zeit, S. 85–105
    Nicht nur für die Soldaten ist Urlaub eine verstörende Erfahrung, auch den Daheimgebliebenen beschert die Begegnung mit ihnen seltsame Empfindungen: » Als Saint-Loup in mein Zimmer getreten war, hatte ich mich ihm mit einem Gefühl der Befangenheit und unter dem Eindruck von etwas Übernatürlichem genähert, das einem im Grunde alle Urlauber einflößen und das man sonst verspürt, wenn man zu einer von tödlicher Krankheit befallenen Person mitgenommen wird, die noch immer aufsteht, sich ankleidet und spazierengeht. « Seine Narbe auf der Stirn erscheint Marcel » erhabener und geheimnisvoller […] als die vom Fuß eines Riesen auf der Erde zurückgelassene Spur «.
    Es gab inzwischen einen Zeppelinangriff auf Paris (die Kriegsgeschichte hat ihre Kuriosa), und Saint-Loup » fragte mich, ganz als rede er von irgendeinem ästhetisch höchst bedeutsamen Schauspiel, ob ich auch alles gut gesehen habe «. Dreißig Jahre später steht Ernst Jünger auf dem Dach eines Hotels mit einem Glas Burgunder in der Hand (in dem Erdbeeren schwimmen) und betrachtet einen Bombenangriff auf Paris, das ihm schön wie ein Kelch, »der zu tödlicher Befruchtung überflogen wird«, erscheint. Aber er hat diese Pose nicht erfunden, Saint-Loup diskutiert auch schon, ob Flugzeuge beim Start oder bei der Landung besser aussehen. Bei der Landung hätten sie den apokalyptischen Effekt von sich aus ihrer Bahn lösenden Sternen. Schon das Sirenengeheul erinnerte ja an Wagner.
    Monsieur de Charlus wird immer mehr zur tragischen Gestalt. Aufgrund seines » Lasters « hat sich eine maximale Distanz zwischen den beiden Seiten seiner Persönlichkeit eingestellt, dem ererbten Teil und dem » persönlichen Makel «. Den Verdurins erscheint er als » Vorkriegstyp «, was als schlimme Charakterisierung gemeint ist. » Er sieht keinen Menschen, niemand empfängt ihn mehr. « Reicht das denn schon, um » schrullig «, oder » erledigt « zu sein? Eigentlich müßten sich doch die Menschen, die niemanden mehr sehen, untereinander recht gerne sehen. Charlus hat seine adlige Mischpoke immer verachtet, er ist ja eigentlich ein Künstler ohne Werk, aber Menschen wie Bergotte hatten an ihm gerade seine Verwandtschaftsverhältnisse gereizt.
    Dazu kommt, daß Madame Verdurin Charlus als Spion verdächtigt, da in ihm bayerisches Blut fließt. Warum hat er sie damals überhaupt auf La Raspelière besucht? » Sicher war er von den Deutschen beauftragt, dort einen Stützpunkt für ihre U-Boote vorzubereiten. « Auch der ehemalige Geliebte Morel verfolgt Charlus mit Haß, obwohl er seine tiefe Güte, Großzügigkeit, sein

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