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Schmidt Liest Proust

Schmidt Liest Proust

Titel: Schmidt Liest Proust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Schmidt
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Fatum« sei. Die arme Verlassene begeht Selbstmord, während Aeneas die salzige Meeresluft einatmet und sich schon auf neue Abenteuer freut. Man gebe einmal als Begründung, warum man eine Frau sitzenläßt, an: »Jupiter hat es mir befohlen.« Oder Lucretia, die während ihr Mann Kriegsdienst leistet, vom Sohn des Königs bedrängt wird, der ihr droht, ihren Leichnam neben den eines toten Sklaven zu legen und sie der Unzucht zu beschuldigen, woraufhin sie ihn gewähren läßt und er sie vergewaltigt. Sie schickt nach ihrem Mann, der nach Hause eilt und erleben muß, wie sie sich vor seinen Augen umbringt. Immerhin kommt es zum Sturz der Monarchie. Oder die beiden Legionäre, die sich darum streiten, wer von seinen Soldaten mehr geliebt wird, die sich deshalb in die Schlacht stürzen und schließlich gegenseitig retten. Oder Coriolan, der sich, vom Ehrgeiz mitgerissen, mit den Plebejern anlegt, verbannt wird, und daraufhin mit den Volskern, den schlimmsten Feinden Roms, gegen die Stadt zieht, und dann kommt ihm seine Mutter entgegen und hält ihm eine Standpauke, woraufhin er abzieht, aber von den Volskern wegen Verrats zum Tode verurteilt wird! Oder Romulus und Remus. Da zieht man eine heilige Furche und markiert die Grenzen der neuen Stadt, die man gründen will, und der Bruder verspottet einen, indem er immer über den Graben springt. Vor Wut tötet Romulus Remus, sonst würde die Stadt ja auch Rem heißen und nicht Rom. »So möge es jedem ergehen, der über meine Mauern springt!« sagt Romulus. Solche Wut kann man nur gegen den eigenen Bruder empfinden! Oder Vergil, der in seinem Garten eine Fliege bestattet, damit das Gelände offiziell als Friedhof gilt und er keine Steuern zahlen muß. Irgendwie fand ich auch, daß das Foto der schwangeren Franziska van Almsick hierher paßte, neben ihrem neuen Mann, einem Unternehmer aus Heidelberg. Ich weiß nicht, warum mich der Anblick der beiden traurig stimmt. Dieses scheue Mädchen, das immer von falschen Beratern umgeben gewesen war und in der Liebe kein Glück fand. Erst ein proletenhafter Handballer, der sie sicher ständig mit Volleyballerinnen betrogen hat, und jetzt ein Unternehmer aus Heidelberg, der mit seinem Geld den Hockenheimring unterstützt. Das ist doch ein Irrweg, der Mann sucht doch nur eine Trophäe aus dem Osten. Warum wirft sie sich so weg? Warum habe ich nie eine Chance bekommen? Nur weil ich nicht kraulen kann?
    Die wiedergefundene Zeit, S. 65–85
    Saint-Loup dient inzwischen an der Front, würde es aber, als echter Guermantes, selbst unter Folter nicht über sich bringen, Kaiser Wilhelm einfach nur »Wilhelm« zu nennen: » Würden zwei Männer der Gesellschaft als einzige Überlebende auf einer öden Insel übrigbleiben, auf der sie niemandem gegenüber durch gute Manieren sich auszuweisen hätten, würden sie einander doch an solchen Spuren guter Erziehung erkennen, ebenso wie zwei Latinisten am korrekten Zitieren Virgils. « Das ist für Marcel aber keineswegs nur positiv zu sehen, sondern, obwohl » etwas ganz Wundervolles «, doch auch » ein Zeichen großer Behinderung für den Geist «.
    Offenbar fühlt Saint-Loup sich im Kreis seiner Kameraden an der Front gut aufgehoben, und Marcel sieht einen Zusammenhang zwischen Homosexualität und der Begeisterung für das Ideal männlichen Zusammenlebens. Denn Saint-Loup empfinde ja wie Charlus Grauen vor jeglicher Verweichlichung und deshalb einen wahren Rausch » beim Kontakt mit der Männlichkeit «, eine » zerebrale Wollust « beim Zusammenleben unter freiem Himmel mit anderen Soldaten (zum Beispiel den berühmten Senegalesen), die mit einem Kokainrausch vergleichbar sei. Diese Haltung zeige sich auch beim Menschentyp » rauh, aber mit goldenem Herzen «, der beim Abschied zwar » eine Neigung zu Tränen verspürt « (von der niemand etwas ahnt), sein goldenes Herz aber » unter wachsendem Zorn verbirgt « und schließlich poltert: » Los jetzt, zum Donnerwetter, du blöder Hund. Umarme mich und nimm diese Börse hier, die mich in meiner Tasche stört, verdammter Dummkopf du. «
    Marcel nennt diese Form sorgsam unterdrückter Neigung zur Männlichkeit » hassenswert «. Rührung werde erzeugt, indem man sie verberge, das sei » widerwärtig und häßlich, weil nur solche Leute in dieser Art trauern, die der Meinung sind, daß Kummer nicht zählt, daß das Leben ernster als Trennung und alles übrige ist «. Das Ideal der Männlichkeit bei Homosexuellen wie Saint-Loup sei » verlogen, weil sie

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