Schmidt Liest Proust
nicht mehr. Die Frauen und der Suff, die reiben den Menschen uff. Beim Abernten der Felder mit den heutigen mit GPS ausgerüsteten Mähdreschern erhält der Bauer anschließend eine Bodeneffizienzkarte für seinen Acker ausgedruckt, die in ihrer Tendenz immer noch mit der Reichsbodenschätzung von 1930 übereinstimmt. Ein Joint schädigt die Lunge wie fünf Zigaretten. Wenn man mit dem Boden einer Bierflasche auf die Öffnung einer anderen haut, schäumt es. Alte Frauen waschen gerne ab, weil sie ihre rheumakranken Hände gerne in warmes Wasser tauchen. Wenn man keine Bosköppe hat, eignen sich zum Durchdrehen fürs Apfelmus auch Berner Rosen. Ist der Boden zu sauer, bildet sich Moos, und man muß Asche verstreuen. Mit fünfzehn gehen Mädchen manchmal in den Garten, um zu weinen. Hunden, die zum Töten abgerichtet sind und einem an die Gurgel springen wollen, muß man den Unterarm hinhalten. Dort beißen sie sich fest, und man kann ihnen mit einem gezielten Faustschlag auf die Schnauze das Genick brechen. Wenn man Karpfen immer wieder ins Wasser wirft, lernen sie dazu und beißen nicht mehr, es sei denn, man wechselt den Köder. Der Klimawandel kommt vielleicht doch von den vielen Windrädern.
Im Schatten junger Mädchenblüte, S. 279–300
Die Hälfte der Abendsonne fällt auf die Statue der Heiligen Jungfrau des Kirchenportals von Balbec, auf die Marcel sich so gefreut hat, und die andere Hälfte auf die Filiale der Diskontbank. So geht das natürlich nicht. Gut daß er nicht weiß, wie die Bretagne heute aussieht. Selbst schuld, wer verreist! Der Einzug ins Palace-Hôtel von Balbec, den Ort, » an den mein Leib sich gewöhnen sollte «. Der Direktor kann den Gästen ansehen, ob es sich um »höhere« handelt, er bemerkt, » daß jemand nicht den Hut abnahm, wenn er die Halle betrat, Knickerbocker trug, einen auf Taille gearbeiteten Paletot anhatte, eine Zigarre mit einer gold und purpurnen Bauchbinde einem Etui aus gepreßtem Maroquinleder entnahm «. Und Marcel erfüllt keines dieser Kriterien. Der Direktor läßt ihm und seiner Großmutter seine Aufmerksamkeit nur » vor sich hin pfeifend zuteil werden «. (Die merkwürdige Aufsässigkeit des Personals, wie bei Kafka.) Marcel versinkt derweil im Sessel und nimmt » Zuflucht zu den verborgensten Bezirken meines Innern, ich versuchte es mit Abwanderung ins Reich der ewigen Werte, zog alles Persönliche, alles Lebendige von der Oberfläche meines Körpers weg – bis sie fühllos wurde wie die der Tiere, die sich totstellen, wenn man sie verletzt –, um nicht zu sehr an diesem Ort zu leiden «. Eine in vielen Lebenslagen nützliche Übung, wobei es auch helfen kann, Proust zu lesen.
Eigentlich will er die Großmutter bitten, gleich nach Paris zurückzureisen, weg von diesem » Ort der Qualen – wie jeder neue Wohnort es ist «. Ein Liftboy » glitt mit der Gelenkigkeit eines emsigen, gefangenen und gezähmten Eichhörnchens zu mir herab «. Er sieht im Vorübergehen ein Zimmermädchen mit einem Keilkissen unterm Arm: » Ich paßte ihrem für mich im Dunkel undeutlich gewordenen Gesicht die Maske meiner leidenschaftlichsten Träume auf, las aber in ihrem Blick, als er sich mir zuwendete, nur das Grauen des Nichts, das ich war. « Wie oft haben wir in den Blicken von Kellnerinnen das Grauen des Nichts gelesen, das wir sind! Das ganze Hotel und sein Personal sind für Marcel » wie alles, was wirklich geworden ist, phantasietötend «.
Menschen im Hotel. Der Körper ist nur noch eine » Vielheit der Empfindungen «. Wie weit ist es gekommen, wenn Marcel sich » selbst bei ausgestreckten Beinen « wie in einem Folterkäfig fühlen muß? Man kennt das, wenn man wie ein präparierter Käfer auf dem Hotelbett liegt, der Bauch aufgebläht vom schlechten Essen der Imbißbuden – alles mit Remouladensauce! –, die Haut reagiert gereizt auf das ungewohnte Gefühl der Laken und auf die seifige Textur der Handtücher, im Bad pfeift ein Lüftungsloch, und aus einem ersten verzweifelten Erschöpfungsschlaf, der mehr einer Art Ohnmacht gleicht und eher auslaugt als erfrischt, weckt einen der Darminhalt des Nachbarn, der durch das Fallrohr jagt, das am Kopfende des Bettes in mehreren überflüssigen Windungen durch das Zimmer führt. Aber das ist alles nicht entscheidend, man würde sich auch in der besten Suite des Palace-Hôtel zu Balbec nicht anders fühlen, die Gewohnheit hat ihre Arbeit noch nicht getan. » Unsere Aufmerksamkeit füllt ein Zimmer mit Gegenständen an,
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