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Schmidt Liest Proust

Schmidt Liest Proust

Titel: Schmidt Liest Proust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Schmidt
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meinem Freund.«
    Im Gehen dreht sich Rahel um: » Ob diese kleinen Hände es auch so gut mit den Frauen verstehen? rief sie dem Tänzer vom Hintergrund der Bühne her mit einer künstlich melodischen und unschuldigen Naivenstimme zu, du siehst ja selbst aus wie eine Frau, ich glaube, man würde sich sehr gut mit dir und einer meiner Freundinnen verstehen. « Aber Saint-Loup wirft sich nicht auf sie, um sie zu erwürgen, er bleibt ganz ruhig bei den rauchenden Journalisten stehen. » Sie sind nicht sehr höflich «, stellt er fest, um einem von ihnen aus heiterem Himmel eine Ohrfeige zu verpassen. Für Marcel verstößt dieser Akt gegen das Kausalitätsprinzip, weil er sich nicht aus der vorhergehenden Ruhe Saint-Loups ableiten läßt, er ist » eine Urzeugung des Zorns ex nihilo «.
    Draußen wird Saint-Loup auch noch von einem » ziemlich schlechtgekleideten « Mann » mit bestimmten Passionen « angesprochen, wenig später schlägt er schon auf diesen Mann ein. Aber es » reichen solche Züchtigungen, wiewohl sie die Gesetze unterstützen, dennoch niemals aus, die Sitten dieser Menschen denen der anderen anzupassen «.
    Und nun geht es endlich in den Salon der Madame de Villeparisis (wir bekommen ja immer noch einen einzigen Tag erzählt), einen drittklassigen Salon, was an der Vergangenheit der Gastgeberin liegen muß. Sie hat in der Jugend zu viele Menschen vor den Kopf gestoßen und kann das jetzt auch nicht mehr ausbügeln. » Wie viele Frauenleben, die freilich wenig bekannt sind […], erscheinen auf diese Weise in entgegengesetzte Perioden aufgeteilt, wobei die letzte ganz darauf verwendet wird, wiederzuerlangen, was man in der zweiten fröhlich in alle Winde verstreut hat! « Auch erkennt sie das Genie großer Künstler nicht, » ihre Gabe erschöpfte sich darin, fein über sie zu spotten und ihrem eigenen Unverständnis eine geistreiche und anmutige Form zu geben «. (Damit kann man es im Feuilleton heute schon sehr weit bringen.) In Gegenwart wirklichen Geistes verspüren die Weltleute » eine gewisse Ermüdung und Gereiztheit, die sehr bald zur Abneigung wird «.
    Unter den Gästen ist ein Historiker, der ihr bei ihren Memoiren hilft und sein Haus nur verläßt, wenn die Arbeit es verlangt: » Unfähig, häufiger diese für andere ganz unproblematischen Ausflüge zu unternehmen, die ihn so viel Überwindung kosteten, als müsse er vom Mond niedersteigen, war er immer erstaunt, daß das Leben der anderen nicht ständig darauf eingerichtet war, ein Maximum an Nutzen für die jähen Kraftanstrengungen des seinigen in Bereitschaft zu halten. « Und auch hier sieht man sich beschrieben, wenn man nach Wochen wieder einmal den Mond verläßt, sich zu seinen alten Freunden setzt und darunter leidet, daß diese so große Überwindung erfordernde Annäherung so wenig Ertrag bringt. Man ist zwar nur ein paar Ecken zu Fuß gegangen, aber geistig kommt man doch von einer Polarexpedition wieder und rechnet eigentlich auf die gleiche Zuwendung und die gleiche Neugier, die ein halbverhungerter Abenteurer bei seiner Rückkehr erwarten dürfte. Statt dessen merkt gar keiner, wenn man wieder geht.
    Unklares Inventar:
    – Zinnien, Maskarill.
    Verlorene Praxis:
    – Niemals einen Fuß in einen bestimmten Salon setzen, aus Angst, » sich dort durch die Gesellschaft von Arzt- und Notarsgattinnen gesellschaftlich zu deklassieren «.
    – Wenn der König zu Besuch kommt, auch zu Hause einen Hut tragen, » da der König überall in seinem Hause weilt, ist ein Herr dann nur mehr Gast in seinem eigenen Salon «.
    66 . So, 24.9., Berlin, abends, heiter verglühender Tag
    Die Pankowerin wollte mit mir Tischtennis spielen. Früher haben wir jeden Tag Tischtennis gespielt, an den Steinplatten vor dem Haus, im Sommer bis man in der Dämmerung den Ball nicht mehr sah oder ein Film im Fernsehen kam. (»Kommt heute ein Film?« die Frage würde man heute wohl so nicht mehr stellen. Genausowenig: »Haste jestern jekiekt?«) Dabei ist mir nie aufgefallen, daß man sich bei diesem Sport dauernd nach dem Ball bücken muß. Es gibt ja auch Sportarten, in denen man sich nicht so oft bücken muß, zum Beispiel Golf, wo man sich auf einem 18er Kurs genau 36mal bückt. Oder Schwimmen, da bückt man sich nur einmal kurz am Start, aber selbst das ist fakultativ, man könnte auch mit einer Kerze ins Becken springen und den anderen hinterherschwimmen. Beim Gewichtheben muß man sich auch nur einmal pro Versuch bücken, bis dahin ist es immer noch

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