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Schmidt Liest Proust

Schmidt Liest Proust

Titel: Schmidt Liest Proust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Schmidt
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weniger anstrengend als eine Partie Tischtennis.
    Der Unterschied zu früher, wo mir das Bücken nicht so unangenehm auffiel, ist, daß ich keinen Ehrgeiz mehr habe. Wenn ich denke, welche Aggressionen freigesetzt wurden, weil der Bruder einen besiegt hatte. Das ist vorbei, ich lasse anderen gerne den Vortritt. Aber was ist, wenn einen der Ehrgeiz auch in anderen Bereichen verläßt? Wenn es mir nichts mehr ausmacht, daß andere Autoren mehr Erfolg haben? Heißt das dann, daß ich bald sterben werde? Von einer höheren Warte aus betrachtet, ist Neid ja immer überflüssig, man durchschaut doch die Aufmerksamkeitsökonomie und kann sich nur gratulieren, kein Liebling der Institutionen zu sein. Aber Neid ist eben auch etwas, was einen antreibt, sich nach dem Ball zu bücken. Und wie unbedeutend die Gegner waren, die man auf seinem Weg überholt hat, ist doch genauso unwichtig wie die Zusammensetzung des Treibstoffs, mit dem man zum Mond fliegt.
    Sie dann abends noch einmal angerufen. Sie warnt mich wieder vor ihrem Charakter: »Hör auf deine Mutter.« Warum sagt sie so etwas? Ihr Chef hat sie heute weggeschickt, er konnte es nicht mit ihr im Büro aushalten, weil er unglücklich in sie verliebt ist.
    Die Welt der Guermantes, S. 231–252
    Der Wettstreit der Salons um die edelsten und berühmtesten Besucher ist ein Daseinskampf, obwohl es noch nicht um Marktanteile zu gehen scheint und man keine Werbebanner verkauft. Aber die Zeitungen berichten, wer wo gesehen wurde. Wobei man den gegenwärtigen Ruf eines Salons von seiner historischen Bewertung trennen muß, die günstiger ausfallen kann, wenn die Salondame eines Tages ihre Memoiren verfaßt. Indem sie das tut, übertrumpft Madame de Villeparisis den Salon von Madame Leroi, zu dem sie selbst nicht eingeladen wird. Aber sonst würde sie ja auch gar nicht schreiben: » Gott will, daß ein paar gut geschriebene Bücher erscheinen, und zu diesem Zweck füllt er das Herz solcher Frauen wie Madame Leroi mit solcher Art von Verachtung an, denn er weiß, daß, lüden sie eine Madame de Villeparisis zu sich ein, diese sofort ihr Schreibzeug im Stich und für acht Uhr anspannen ließe. «
    Marcel wünscht sich ein » mythologisches Wörterbuch der Gesellschaft «, aus dem man erfahren könnte, welche galanten Abenteuer in ihrer Vergangenheit zum Sturz bestimmter gesellschaftlicher Gottheiten geführt haben. Man erhalte solche Informationen nur noch von sehr alten Männern, die die Zeit erlebt haben, oder von jungen Frauen, die sie von diesen alten Männern hören.
    Marcel hat Glück, denn die Herzogin von Guermantes beehrt den Salon ihrer Tante, der Madame de Villeparisis. Müßte sie sie nicht aus Verwandtschaftsgründen besuchen, wäre ihr deren Salon allerdings zu drittklassig, » nachdem sie einen leichten Seufzer ausgestoßen hatte, begnügte sie sich, um die Nichtigkeit des Eindrucks kundzutun, den der Anblick des Historikers und der meinige auf sie gemacht hatte, mit einer kleinen Bewegung ihrer Nasenflügel, die sie mit jener spannungslosen Exaktheit ausführte, wie sie sich aus einer gänzlich unbeteiligten Aufmerksamkeit ergibt «. Mit solchen Bewegungen der Nasenflügel treibt man ehrgeizige Männer zum Wahnsinn. Marcel himmelt sie immer noch an, er erwartet, daß ihre Stimme klingt, als schwämme in ihr » das träge ölige Gold besonnter Provinzregionen «. Solche Bilder tragen allerdings für den Leser nicht zum Verständnis bei, man weiß einfach nicht, was das tertium comparationis zwischen einer Frauenstimme und trägem öligem Gold besonnter Provinzregionen ist. Aber ihn hat auch schon der » amarantfarbene Widerschein der letzten Silbe ihres Namens « zum Träumen eingeladen, und er hofft, ihre Plauderei würde » durch mysteriöse Tiefe die verjährte Eigenart eines mittelalterlichen Wandteppichs oder eines gotischen Kirchenfensters besitzen «.
    Was würde sie denken, wenn sie wüßte, was er denkt? Bis jetzt ist sie nur gelangweilt, sie sieht sich um und erholt sich erst für Momente, als ihr Blick auf Möbelstücke fällt, die ihr bekannt sind, » dann kehrte dieser Blick von dem Beauvaisbezug noch einmal zu der Person zurück, die darauf saß, und wurde dann wieder zum wachen Mittler einer Mißbilligung, die in Worten zu äußern Madame de Guermantes aus Respekt vor ihrer Tante sich nicht erlaubt haben würde, die sie aber auch empfunden hätte, wäre statt unserer auf diesen Sesseln ein Fettfleck oder eine Staubschicht zu konstatieren gewesen «.
    Was

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