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Schmidt Liest Proust

Schmidt Liest Proust

Titel: Schmidt Liest Proust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Schmidt
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Frauen kommen im Moment nicht in Frage, denn » ich hatte schon die große Landstraße der allgemeinen Begierden verlassen und den Seitenpfad einer ganz besonderen eingeschlagen «.
    Nicht die Frau bestimmt die zu ihr passende Szenerie, sondern die Begleitumstände verlangen nach der geeigneten Frau. » Als Geschöpfe solcher vorgeschaffenen Begleitumstände kommen gewisse Frauen nicht ohne das große Bett in Frage, in dem man an ihrer Seite den Frieden finden kann, andere verlangen für die ihnen in geheimer Absicht gespendeten Zärtlichkeiten Blätter und Wind und Quellen in der Nacht, sind leicht und flüchtig, wie sie. « Daraus ergibt sich eine Übung: Denken Sie sich zu jedem Ihrer Möbelstücke und zu jedem Punkt in der Stadt die dazu passende Frau aus. »Ich könnte mir vorstellen, dich zu lieben, aber nur in einer Raumstation.« Eine gute Ausrede?
    Für das Fräulein de Stermaria kommt jedenfalls nur die Insel im Bois in Frage, denn diese, beliebt bei Liebespaaren, war ihm schon vorher » besonders geeignet für Liebesfreuden erschienen, weil ich einmal dort die Trauer darüber ausgekostet hatte, daß es bei mir nichts dergleichen zu verbergen gab «. Eine Liste solcher Orte dürfte natürlich etwas länger ausfallen. Immerhin eine schöne Vorstellung, im Triumphzug als Rächer des Eros zurückzukehren.
    Es ist das Ende der Saison, es regnet und der Wind zerrt schon an den Blättern. Wahrscheinlich wird es auf der Insel kalt sein. Zu diesem Wetter paßt die kleine Bretonin: » Aber wenn ich umschlungen mit Madame de Stermaria im Düster der Insel am Ufer des Sees spazierenginge, würde ich es machen wie andere, die, da es nicht angeht, in ein Kloster einzubrechen, wenigstens eine Frau, bevor sie sie besitzen, als Nonne verkleidet sehen wollen. « Selbstverständlich will er sich schon am Tag vorher dorthin begeben, um » das Menü für den folgenden Abend zu bestimmen «. Doch da erscheint wieder Albertine, die für solche unerwarteten Auftritte begabt zu sein scheint. Er hält es nicht einmal für nötig, sich für sie zu Ende zu rasieren, wo er ihr doch in Balbec noch so gefallen wollte. Solche Umschwünge in der Wertschätzung gehen äußerst rasch vonstatten. Er bittet sie sogar, ihn zum Restaurant zu begleiten, sie verstehe wenigstens etwas » von Küche «. Und er überlegt, ob er nicht, für den Fall daß sein Abendessen mit Madame de Stermaria » kein weiteres Ergebnis hätte «, schon eine spätere Verabredung mit Albertine ausmachen sollte, um sich eventuell von ihr trösten zu lassen. Es steht nämlich zu befürchten, daß das erste Treffen mit der Bretonin ganz belanglos verlaufen wird, das hätten erste Treffen leider so an sich.
    » Als ich wieder allein bei mir zu Hause war und daran dachte, daß ich heute nachmittag eine Spazierfahrt mit Albertine gemacht, am übernächsten Tag bei Madame de Guermantes zu Abend essen würde und einen Brief Gilbertes zu beantworten habe – alle drei Frauen hatte ich ja geliebt –, sagte ich mir, daß unser Leben unter anderen Menschen einem Maleratelier voll beiseite gelegter Skizzen gleicht, da es mit allen jenen angefüllt ist, an welche wir einmal einen Augenblick lang unser Verlangen nach einer großen Liebe glaubten heften zu können; doch wurde mir dabei nicht bewußt, daß manchmal, wenn die Skizze noch nicht allzulange geruht hat, wir sie am Ende noch einmal vornehmen und ein ganz anderes, vielleicht bedeutenderes Werk daraus machen, als wir ursprünglich planten. «
    Nun kommt der schönste Moment jedes Rendezvous’, die Zeit vor dem Aufbruch, » diese fruchtlose Stunde, die wie die tiefe Vorhalle des Genusses war «. So hatte er in Balbec abends vor den Belustigungen in Rivebelle allein auf dem Zimmer die hereinbrechende Dunkelheit in dem Wissen beobachtet, daß er nur wenig später wieder in einem strahlend erleuchteten Saal sitzen würde. In diesem Moment ist es schon gar nicht mehr so sehr die Madame de Stermaria, die er sehen will, sondern es sind eigentlich die Frauen von Rivebelle. Er macht » einen kleinen Vergnügungsspaziergang durch die Wohnung «, die Eltern sind ja nicht da. Die Wohnung mit ihren Geheimnissen paßt zur Jahreszeit. Ein in der Küche aufheulendes Wasserrohr hatte er anfangs für einen Hund gehalten. » Die Haustür aber schloß sich nur sehr langsam von selbst unter dem Luftzug im Treppenhaus, und immer nur, indem sie Bruchstücke aus den wonnetrunkenen Klangfolgen hören ließ, die über dem Pilgerchor gegen Ende der

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