Schmidts Einsicht
breit – ein überdimensionales Doppelbett, größer als seins zu Hause und gemacht für Schläfer von mehr Umfang und Gewicht, als Alice und er auf die Waage brachten, und das Schlafzimmer hatte zwar Fenster zum Carlos Place, war dabei aber wunderbar ruhig. Er hatte befürchtet, den Anforderungen dieses Liebesspiels nicht gewachsen zu sein, aber zu seinem Erstaunen funktionierte er. Dank des Zusammenwirkens günstiger Umstände, nahm er an: Seit mehr als sechs Wochen war sein Hunger auf Sex ungestillt, das Liebesleben mit Alice hatte noch den Reiz des Neuen, er entdeckte eine Art Demut bei ihr, so daß sie zu gewissen Gesten und Forderungen einlud, die sie vorher abgewehrt hatte, und natürlich dachte er an ihr Masturbieren im Flugzeug. Nach der ersten heftigen Umarmung eröffnete sie ihm wichtige Details. Sie lag gegen die Kissen gelehnt, hatte die Bettdecke abgeworfen, zupfte an ihren Brustwarzen und erzählte ihm, sie sei zweimal zum Höhepunkt gekommen und nach dem zweiten Mal eingeschlafen, die Hand noch in ihrem Slip. So hatte die Stewardeß sie gefunden, die nach der Ankündigung, daß Turbulenzen zu erwarten seien, nachsehen wollte, ob Alice angeschnallt war, und die Zudecke lüftete. Alice schreckte auf, merkte, wie sie errötete, und sah, daß die Stewardeß ihr zuzwinkerte und in Lachen ausbrach. Ihre Nachbarin auf dem Fensterplatz war eine alte britische Schreckschraube, die das Ganze nicht komisch gefunden hätte, aber zum Glück fest schlief. Der erotische Reiz der Geschichte und die Selbstverständlichkeit, mit der Alice hinnahm, daß sie schon der bloße Gedanke an ihn erregte, hatten wiederum Schmidt erregt, und sein Begehren war heftig wie zu seiner besten Zeit, so daß er sie wieder und wieder nehmen und mit aller Kraft in sie eindringen wollte. Aber er sah sich vor. Selbst mitten im Eifer des Gefechts hütete er sich, ihr zu sagen, er liebe sie, oder von einer gemeinsamen Zukunft zu sprechen. Er versicherte ihr, sie mache ihn unglaublich glücklich. Sie stieß dann heftig atmend hervor, das will ich, das will ich. Und sie war es, die mehr als einmal murmelte: Ich liebe dich, Schmidtie.
Die Tage vergingen schneller, als Schmidt erwartet hatte, viel Zeit verbrachten sie im Bett. Schon war Montag. Am nächsten Tag mußte sie frühmorgens nach Paris zurück; er würde erst am Nachmittag nach Hause fliegen. Aber als sie sich am Montag abend zum Essen setzten, hatte sie weder Popovs Namen erwähnt noch die versprochene Erklärung gegeben. Sein Entschluß, ihr die Initiative zu überlassen, war ungebrochen. Mehr als einmal war ihm durch den Kopf gegangen, daß ihm der Aufenthalt in diesem Niemandsland nicht unlieb war, daß es vielleicht die beste Lösung wäre, sich zu verabschieden, ohne daß etwas erklärt oder entschieden war, wenn er sie nur behalten konnte. Aber konnte er das? War das nicht genau der Haken an der Sache? Und zu welchen Bedingungen? Um den Preis immer neuer Demütigungen, so wie er sie auf Gibsons Rasen erlebt hatte? War er bereit, sich auf eine französische Variante von Polyandrie einzulassen? Sich Alice mit dem widerlichen Popov zu teilen?
Schmidtie, sagte sie, als der Sommelier ihnen eingeschenkt hatte, ich habe dir eine Erklärung versprochen. Ich würde sie lieber nicht geben, aber ich glaube, du wartest darauf.
Fast hätte er gesagt: Nein, laß es, halten wir uns an das, was wir jetzt haben. Ich bin noch nicht reif fürs Schafott. Aber das brachte er nicht über die Lippen, er nickte nur, als nicke sein Kopf automatisch.
Eigentlich ist es ganz einfach, fuhr sie fort. Ich weiß, daß du dir das meiste schon gedacht hast. Ich erzähle dir nur, wie es gekommen ist. Dann wirst du mich besser verstehen, und vielleicht fällt dein Urteil nicht ganz so hart aus. Ja, Serge und ich haben eine Beziehung. Schon sehr lange. Sie begann im Sommer bevor ich aufs Radcliffe ging. Er arbeitete schon für einen Verlag in Paris –damals war es Flammarion, nicht der Verlag, in dem wir beide jetzt beschäftigt sind – und kam nach Washington, um mit meinem Vater über General de Gaulle zu sprechen. Jemand, ein sehr bekannter Politiker, plante ein Buch über de Gaulles Kriegsjahre, und bevor Flammarion einen Vertrag mit ihm machte, schickte man Serge aus, die Fakten zu überprüfen und von meinem Vater zu erfahren, ob de Gaulle fair geschildert worden war. Mein Vater lud Serge zum Dinner in die Botschaft ein, so lernten wir uns kennen. Ich fand, daß er sehr ernsthaft und differenziert war.
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