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Schmidts Einsicht

Schmidts Einsicht

Titel: Schmidts Einsicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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Schmidt. Womit habe ich es verdient?
    Dumme Frage, Schmidtie! Versuchst du zu beweisen, daß ich mich irre? Du willst wissen, womit? Das kann ich dir sagen. Was du diesen Direktoren vorgeführt hast, war große Klasse. Pas de problème . Sie waren sprachlos. Die Frage ist: Spielt es eine Rolle, was diese Kerle denken? Die sind nur WASPs in Anzügen, die ich in den Vorstand gesetzt habe, damit die Stiftung gut aussieht. Mit Holbein ist es was anderes. Er ist gescheit, und laß dir sagen: Er war beeindruckt.
    Holbein war der Sekretär der Stiftung und, soweit Schmidt wußte, Sekretär oder Vizepräsident aller Unternehmen, die Mike Mansour besaß, ein so ausgefuchstesund machiavellistisches Faktotum, daß Schmidt sich ab und zu die Frage gestattete, ob der Finanzmagnat persönlich etwa auch unter der verdeckten Kontrolle seines Angestellten stand.
    Womit du dir das Kompliment verdient hast? fuhr Mr. Mansour fort. Du hast uns eine Lektion über die politische und wirtschaftliche Lage in acht Ländern gegeben, die du noch nie gesehen hattest, und uns den Zustand meiner Life Center in jedem einzelnen geschildert. Du hast nicht ein einziges Mal auf deinen Merkzettel gesehen, und du hast dich nicht zum Narren gemacht. Mich auch nicht, denn ich habe dich angeheuert. Sie glauben alle, daß du weißt, wovon du redest. Sogar Holbein.
    Schmidt hätte gern gefragt, ob Mr. Mansour auch zu diesen Gläubigen gehöre, aber er unterdrückte den Wunsch. Er hatte gelernt, daß die Antwort der Wahrheit entsprechen würde, so wie Mike sie sah, ohne eine Spur von Takt, ohne jedes Bedürfnis, die Gefühle des Fragenden zu schonen, und daß man bereit sein mußte, mit den harten Worten zu leben. Ja, es stimmte; er hatte ohne Notizen vorgetragen, aber er hatte während des Flugs von Paris eine Gliederung dessen, was er sagen wollte, auf einen Notizblock geschrieben und seine Präsentation anschließend stumm eingeübt. Damit hatte er sich nicht mehr und nicht weniger Mühe gegeben als früher bei seinen Vorbereitungen auf zahllose Sitzungen mit Mandanten, Geschäftsführern der Versicherungsgesellschaften und ihren Syndizi zwecks Erläuterung von Struktur und Risiken einer Investition. Aber es gab einen Unterschied: Während dieser Präsentation und im Anschluß, als er die Fragen der Direktoren beantwortete, hatte er auf Automatik geschaltet. Mit den Gedanken war er anderswo gewesen. Das war ihm während seiner Anwaltsarbeit nie passiert, auch wenn ihn persönliche Probleme noch so sehr bedrängten,wenn er noch so sehr unter Schlafmangel litt oder verkatert war, infolge der Abendessen, die Mary und er und ihre verheirateten Altersgenossen in den sechziger und frühen siebziger Jahren abwechselnd gaben und die regelmäßig mit Absackern – Scotch oder Kognak – endeten, nachdem man vorher Chinon oder Côte du Rhône in Mengen zu sich genommen hatte, die er heutzutage wahrscheinlich nicht einmal in einer Woche konsumieren würde. Er hatte in Erinnerungen an Alice geschwelgt und war in Gedanken bei ihr und dem Plan gewesen, an dem er arbeitete. Er plante, im Mai, wahrscheinlich Mitte des Monats, noch einmal eine Reise zu den Zentren in Warschau und Prag zu machen. Der Grund? Auf dem Rückweg würde er in Paris einen Zwischenhalt machen und Alice besuchen! Dieses heimliche Wissen ließ sein Herz schneller schlagen. Mr. Mansours Zustimmung hatte er schon vor der Sitzung eingeholt. Brauchte er sie? Sicher nicht, er war durchaus in der Lage, ein Flugticket nach Paris und zurück in jeder Preisklasse selbst zu zahlen sowie die anderen Ausgaben, einschließlich eines Hotelzimmers, das vielleicht nicht ganz so luxuriös sein mußte wie die Suite, die der Finanzmagnat ihm zur Verfügung stellte. Aber dem stand die lebenslange Gewohnheit im Wege, auf Kosten von Mandanten zu reisen – sogar Mary, erinnerte er sich, hatte die Europareisen, die sie gelegentlich zusammen unternahmen, zeitlich so eingerichtet, daß sie sich mit der Frankfurter Buchmesse überschnitten, die sie selbstverständlich als eine Repräsentantin ihres Verlages besucht hatte, oder mit einer anderen ähnlichen Veranstaltung, die eine Geschäftsreise nötig machte. Und noch aus einem anderen Grund erschien Mike Mansours Segen wünschenswert: Er tat Schmidts Seele gut, denn er verlieh dem Pariser Abenteuer Struktur und Würde. So würde er nicht als ein alter Bock auftreten, der gegen alle Wahrscheinlichkeit versuchte, die Witwe seines jungen Partners für sich zu gewinnen, sondern

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