Schmuddelkinder - Lenz sechster Fall
gut drauf war, hat sie an einem Tag einen
kompletten Anzug genäht. Aber sie konnte es schon lange nicht mehr machen, weil
sie eben so krank gewesen ist.«
»Also hat sie auch von
Sozialhilfe gelebt?«, fragte Hain.
»Das heißt nicht …«
»Schon gut, geschenkt«,
blaffte der Oberkommissar zurück. »Sie hat Hilfe zum Lebensunterhalt bekommen,
ist Ihnen das lieber?«
Melchers drehte den Kopf
langsam von links nach rechts. »Nein, das wollte sie nicht. Sie hat gesagt,
dass sie mit den Leuten vom Amt nie in ihrem Leben etwas zu tun haben wolle.
Sie hat ihre Bücher verkauft und bescheiden gelebt.«
»Aber sie brauchte doch eine Krankenversicherung? Und diese Wohnung?
Wie hat sie das alles mit den Büchern finanzieren können?«
»Ich sage Ihnen doch, sie
war bescheiden.«
Lenz stand auf und ging
ein paar Schritte in der Küche auf und ab. »Herr Melchers, ich muss Sie noch
einmal nach einer möglichen Verbindung zwischen Frau Soffron und Frau Liebusch
fragen. Ist es möglich, dass es da etwas gab, von dem Sie nichts wussten? Oder
vielleicht nichts wissen wollten?«
Wieder schüttelte der
Mann im blauen Morgenmantel den Kopf, nun deutlich ungehalten. »Hören Sie
endlich auf mit diesem Müll. Petra hat mit der Liebusch nie auch nur irgendwas
zu tun gehabt. Und das sage ich Ihnen nicht noch einmal.«
»Schon gut«,
beschwichtigte Hain den Mann. »Sie müssen sich nicht wieder aufregen. Aber ich
habe ein Problem, bei dem Sie mir vielleicht helfen könnten. Es geht um zwei
Männer, ein Brüderpaar, um genau zu sein. Sie heißen Horst und Wolfgang Fuchs,
und wenn ich richtig informiert bin, waren sie zur gleichen Zeit wie Sie in
Wabern im …«
Der Oberkommissar brach
ab, weil Melchers kreidebleich geworden war und sich sang- und klanglos vom
Stuhl kippen ließ. Die beiden Kommissare sahen sich verwirrt an, bückten sich,
und beugten sich über den scheinbar leblos auf dem Boden kauernden Melchers.
»Hallo, Herr Melchers,
was ist mit Ihnen?«, fragte Lenz ernsthaft besorgt. Der Mann in der
Embryohaltung hob langsam den Kopf und sah von einem zum anderen.
»Woher kennen Sie die
Füchse? Und was wollen die von mir?«
»Kommen Sie«, forderte
Hain ihn auf, griff ihm unter die schmalen Achseln und zog ihn zurück auf den
alten, wackligen Küchenstuhl. »Die beiden wollen nichts von Ihnen, Herr
Melchers, zumindest wissen wir davon nichts.«
»Und warum fragen Sie
mich dann nach den beiden?«
»Wir suchen nach ihnen«,
antwortete Lenz so ruhig und sanft wie möglich.
»Ach so«, machte Melchers
erleichtert. »Warum denn? Was haben sie denn schon wieder verbrochen?«
»Ob sie etwas verbrochen
haben, kann ich Ihnen nicht sagen. Wir suchen sie, zunächst als Zeugen, im
Zusammenhang mit zwei Tötungsdelikten.«
Melchers sah erneut von
einem Polizisten zum anderen. »Wer ist denn getötet worden?«
Lenz und Hain warfen sich
einen unsicheren Blick zu. Hain nickte.
»Frau Liebusch und Herr
Bauer, die beiden ehemaligen Erzieher des Karlshofs«, erwiderte Lenz
schließlich. Melchers nahm die Nachricht völlig emotionslos auf. Er ließ den
Kopf sinken und legte die Wange auf die Innenfläche der rechten Hand.
»Die
Füchse haben mich, solange ich sie kenne, immer nur drangsaliert und
gedemütigt. Das ging an dem Tag los, an dem sie in den Karlshof kamen, und
aufgehört hat es nie. Ich gehe jeden Tag mit Angst aus dem Haus, weil ich mich
davor fürchte, ihnen zu begegnen.«
»Wann haben Sie die beiden zum letzten Mal gesehen?«, wollte Hain
wissen.
Der
Mann im Morgenmantel überlegte. »Vor einem Monat ungefähr. Ich war mit den
Hunden an der Fulda unterwegs, als sie mir begegnet sind.«
»Und?«
Melchers
zog laut die Nase hoch. »Es war wie immer. Schwuli
,
haben sie mich beschimpft, und Homosau
, so wie immer. Dann haben sie
mir mein Geld abgenommen und mich geklatscht.«
»Wie
meinen Sie das, geklatscht
?«
»Die
Backen verhauen. Am Anfang, im Karlshof, haben sie mich mit den Fäusten
verdroschen, dann sind sie dazu übergegangen, mich mit Backpfeifen zu verhauen.
Das haben sie an der Fulda auch gemacht.«
»Und
was haben Sie gemacht?«, fragte Lenz.
»Was
sollte ich schon machen? Ich habe es über mich ergehen lassen und bin
weggelaufen, als sie fertig waren.«
Der
Hauptkommissar schüttelte fassungslos den Kopf. »Und das ging dauernd so, wenn
Sie die beiden getroffen haben?«
Melchers
nickte. »Ich kenne es nicht anders.«
»Wissen
Sie, wo
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