Schmutzengel
Saison nur in die angesagtesten Schnitte.
Mir jedenfalls war in den ersten drei Jahren nicht aufgefallen, dass die Pullis, Hosen und Sakkos zweimal jährlich wechselten.
Ich sah nur, dass einige Kollegen immer dieselben schwarzen Klamotten trugen. Erst meine Kollegin Susanne klärte mich damals
auf.
»Was willst du sein,
Corazón
, Totengräber?«
Ich zuckte zusammen, als Byrone mich ansprach. Den größten Teil seiner Tirade hatte ich nicht mitbekommen, erst das Wort Totengräber
hatte mich alarmiert. Mir brach der Schweiß aus.
»Also?«, fragte er nach.
Ich hatte die Frage für rhetorisch gehalten.
»Corinna«, erwiderte ich matt.
Byrone starrte mich an. »An euren Namen kann ich nichts ändern, also müssen wir darüber nicht sprechen«, erklärte er, wobei
er mit der Hand wedelte, als wolle er eine Fliege verscheuchen. »Ich nenne alle Frauen
Corazón
, dasist Spanisch, die Sprache meiner Großmutter mütterlicherseits, Gott hab sie selig.« Er bekreuzigte sich, führte die Fingerspitzen
zum Mund und küsste sie. »
Corazón
bedeutet Herz. Es ist also nichts Unanständiges.«
Ich zuckte mit den Schultern.
»Also?«, fragte er noch einmal, wobei er ungeduldig eine Augenbraue hob.
»Ich biete Service-Leistungen rund um Haus und Wohnung an«, sagte ich.
»Du bist Putzfrau?«, fragte Byrone. Die Augenbraue erreichte astronomische Höhen.
»Ich vermittle Putzfrauen, Handwerker, Hauswirtschafter und Gärtner«, erklärte ich. Diesen Spruch konnte ich inzwischen im
Schlaf herbeten. Wie oft im Leben würde ich das wohl noch sagen?
»Gut«, sagte Byrone, obwohl ich den Eindruck hatte, dass er eigentlich das Gegenteil meinte. »Setz dich hierher.«
Ich nahm auf einem Stuhl Platz, der vor einem beleuchteten Spiegel stand. Byrone bedeutete den anderen Teilnehmern, auf den
Stühlen hinter mir Platz zu nehmen und meine Augen im Spiegel zu beobachten. Das Bild, das mir aus dem Spiegel entgegenblickte,
war schauderhaft. Die bleiche Haut, die Ringe unter den Augen, das angepappte Haar, ich sah aus wie ein Zombie. Eine Untote.
Himmel, wo kam jetzt diese Idee her? Ich würde mich nicht trauen, den Kofferraumdeckel jemals wieder zu öffnen, wenn ich jetzt
anfing, von Untoten zu fantasieren. Normalerweise schaue ich keine Horrorfilme, lese keine Vampirgeschichten und habe überhaupt
keinen Bezug zu Übersinnlichem. Aber seit annähernd zweiundzwanzig Stunden schien der Hades seinen Geltungsbereich in mein
beschauliches Leben auszudehnen. Sicherlich nicht die besten Voraussetzungen, um eine Beratung in Sachen Stil durchzuführen.
Aber es halfnichts, ich hatte Schott nicht widersprochen und so musste ich diesen Firlefanz über mich ergehen lassen.
Byrone legte mir einen breiten Schal in Schwarz wie ein Lätzchen unter das Kinn.
Niemand reagierte. Ich hatte vorher Schwarz getragen, daher hatte dieser Schal keine offensichtliche Wirkung. Hinter mir hörte
ich ein Gähnen.
Byrone legte mir erst einen rehbraunen, dann einen anthrazitgrauen Schal um und jetzt hörte ich ein überraschtes »Ach«.
»Ja, ja, ach«, sagte Byrone und fand kein R, das er hätte rollen können. Nacheinander legte er mir Schals in schreiendem Pink,
in knalligem Rot, in warmem Maisgelb um. Danach kamen diverse Ockertöne, Olivgrün, Erdbraun. Meine Augen wurden, nachdem sie
mit dem grauen Schal frisch geleuchtet hatten, wieder stumpf, meine Haut blass und teigig. Selten hatte ich so schlecht ausgesehen.
Das Gähnen hinter mir setzte wieder ein, Byrone griff nach den nächsten Schals.
Bei Kiwigrün sah ich aus, als müsse ich mich gleich übergeben, Beige machte mich hohlwangig, Orange billig. Meine Überzeugung,
dass jede beliebige Farbe für mich eine Katastrophe war und ich doch mein Leben in Schwarz verbringen würde, festigte sich
mit jedem Schal, den Byrone mir unter das Kinn legte – bis er zu Puderrosa kam. Ich konnte es nicht fassen, wie gesund meine
winterlich blasse Haut wirkte, wie fröhlich meine übermüdeten Augen strahlten. Die Ringe unter den Augen und der deutlich
erkennbare Ansatz eines Doppelkinns waren fast verschwunden. Dabei hasste ich Puderrosa, seit meine Mutter mir zu meinem fünfzehnten
Geburtstag ein Blümchenkleid in dieser Farbe geschenkt hatte. Ich machte den Mund auf, aber Byrone legte den Finger auf seine
zu einem feinen Lächeln verzogenenLippen. Er legte mir einen Schal in Pastellblau um, danach graue, fliederfarbene und zitronengelbe Tücher.
Die anderen
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