Schmutzengel
nachgedacht, Firmenwerbung auf die Türen
drucken zu lassen, dieses Ansinnen aber aus Kostengründen auf später verschoben. Jetzt war ich froh darüber, denn mit dicken,
fetten Lettern auf dem Auto fällt man beim Leichenverscharren zweifellos noch mehr auf.
»Hier ist ein Kratzer, war der vorher schon?«
Keine Ahnung, wollte ich schon sagen, aber das hätte sie vermutlich dazu animiert, die nette Dame von der Anmeldung, einen
Versicherungsvertreter, einen Gutachter und die Polizei zu meinem Auto zu beordern. Das wollte ich eindeutig vermeiden, also
nickte ich entschlossen. »Ja, der war schon. Dieser hier auch und alle anderen auch.«
»Sei nicht pampig, das steht dir nicht«, sagte meine Mutter und hielt die Hand auf.
»Was?«
»Den Schlüssel.«
Ich schloss die Faust so fest es ging um den Autoschlüssel. »Danke für deine Hilfe, aber jetzt solltest du Papa nicht länger
warten lassen.«
»Hattest du etwas im Handschuhfach?«, fragte meine Mutter streng.
»Nein.«
»Dann solltest du es offen stehen lassen. Bei der Kriminalitätsrate in der Stadt …« Sie wandte sich dem Kofferraum zu. »Warndreieck, Ersatzreifen, Verbandskasten? Du solltest überprüfen, ob noch alles da
ist.«
»Mach ich, Mama. Danke.«
Sie hatte die Heckklappe schon erreicht. »Nun mach auf. Wenn etwas nicht in Ordnung ist, kann ich es gleich bezeugen.«
»Es ist alles in Ordnung, Mama. Ich komme allein klar.«
»Schau nach, dann bist du sicher«, sagte meine Mutter. Sie wich keinen Millimeter zur Seite.
»Nein.«
Wir standen uns an der Heckklappe gegenüber, jede eine Hand auf dem kalten Lack, und starrten uns an. Sie verblüfft, weil
ich ihr so entschieden widersprach, ich nervös, weil mir beim besten Willen keine Ausrede einfallen wollte, warum ich den
Kofferraumdeckel nicht öffnen wollte.
Das Schicksal kam mir zu Hilfe.
»Ist irgendwas nicht in Ordnung mit Ihrem Wagen?«, rief die Verwalterin der abgeschleppten Vehikel aus dem Fenster. War ja
klar, dass sie unseren seltsamen Tanz um das Auto beobachtet hatte.
»Alles prima«, rief ich zurück. »Danke.«
»Wenn Sie jetzt rausfahren wollen, mache ich die Schranke auf. Sonst müssen Sie ein paar Minuten warten.«
Aha, die Dame musste wohl mal für kleine Mädchen. Selten habe ich mich über die begrenzte Kapazität weiblicher Blasen so gefreut.
»Ich muss weg. Danke noch mal fürs Herfahren. Ich melde mich später«, sagte ich schnell, drängte meine Mutter ab, schloss
die Fahrertür manuell auf, ohne die Zentralverriegelung der Heckklappe zu öffnen, und stieg in mein Auto. Ich winkte ihr durch
die geschlossene Tür zu, fuhr durch die bereits offene Schranke, hielt kurz neben meinem Vater, dem ich eine Kusshand zuwarf,
und raste davon. Ein paar Meter weiter setzte mein Verstand wieder ein und ich trat auf die Bremse, um mich auf die vorgeschriebene
Höchstgeschwindigkeit runterzuregeln. Was ich jetzt gar nicht brauchen konnte, war ein übereifriger Polizist, der mich wegen
Geschwindigkeitsübertretung anhielt.
Es war kaum halb zehn und ich war mit den Nerven bereits am Ende, als das Handy klingelte.
»Ich brauche einen Elektriker«, sagte Lisbeth am Telefon.
»Da muss ich mal versuchen …«, begann ich, wurde aber unterbrochen.
»Jetzt, Liebes«, präzisierte sie. Wenn Lisbeth mich mit »Liebes« anredet, steht es schlimm.
»Was ist los?«, fragte ich.
»Weber.«
Mir reichte dieses eine Wort. Hartmut Weber war Controller in einem großen Unternehmen und bewohnte ein märchenhaft schönes
Fachwerkhaus, das nur einen Nachteil hatte: Es war vom Vorbesitzer in jahrelanger Arbeit eigenhändig restauriert und dabei
leider auch von ihm selbst elektrisch verkabelt worden, was dieser Herrn Weber beim Kauf vor zwei Jahren wohlweislich verschwiegen
hatte. Herr Weber wiederum war ein absoluter Fan neuesterHaustechnik. Alles in seinem alten Fachwerkhaus wurde elektrisch gesteuert. Eine Klimaautomatik ermittelte anhand von Außentemperaturfühler
und Raumluftanalyse die richtige Wärme- und Lüftungsstrategie. War die Innenraumluft verbraucht, aber nicht deutlich wärmer
als die Außenluft, wurde die Frischluftzufuhr über die automatische Öffnung zweier Fenster geregelt. War es draußen zu kalt,
blieben die Fenster zu und die Frischluft wurde über einen Außenstutzen angesaugt, am Wärmetauscher vorbeigeführt und dann
in die Innenräume geblasen. Die Heizung inklusive des solarkollektorunterstützten
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