Schnee in Venedig
ungestört.»
Etwas an Alessandros Tonfall brachte Tron zum Lachen. «Wie sieht sie aus?»
«Sie wird dir gefallen.»
«Dann gehe ich am besten sofort.»
44
Elisabeth sitzt in leicht verspannter Haltung auf einem der beiden Stühle, die unmittelbar vor dem Altar stehen, und lässt ihren Blick durch die Kapelle der Trons schweifen: ein fast quadratischer Raum mit einem Altar auf einem steinernen Podest und einer roten Altardecke, die fast den Boden berührt. Zwei Kerzenleuchter auf dieser Decke werfen einen ovalen Lichtschein auf das Altargemälde. Sie beleuchten außerdem eine Flasche Champagner und zwei Gläser. Den Champagner findet Elisabeth ein wenig unpassend. Nicht wegen der Altardecke, auf der er steht, sondern weil dort, woher sie stammt, niemand auf den Gedanken kommen würde, zu einer ernsthaften Besprechung Champagner servieren zu lassen.
Dazu passt, dass der Mann, der sie in die Kapelle gebracht hat, ihr einen anzüglichen Blick zugeworfen hat, als er die Kapellentür aufschloss. Ein zweideutiges Lächeln. Aber hat er das wirklich getan? Elisabeth denkt nach und gelangt zu dem Schluss, dass dieser Alessandro da Ponte einfach nurfreundlich gewesen ist. Ebenso wie der Diener, der zwei Minuten später diskret geklopft und den Champagner auf den Altar gestellt hat.
Jedenfalls hat Elisabeth nicht die Absicht, länger als nötig in der Kapelle zu bleiben. Sie schätzt, dass das Gespräch höchstens eine halbe Stunde dauern wird. Im Grunde läuft es darauf hinaus, dass sie dem Commissario den Namen des Mannes nennen wird, der die Verbrechen auf dem Schiff begangen hat. Mehr kann sie nicht tun. Anschließend wird sie (was immer die Königseggs dazu sagen) ein wenig tanzen. Dass die Trons auf ihren Maskenbällen Walzer tanzen, ist eine echte Überraschung. Eine echte Überraschung ist auch der Ballsaal des Palazzo Tron.
Elisabeth ist mit den Königseggs vor einer halben Stunde eingetroffen und hat so reagiert, wie die meisten Besucher reagieren, die zum ersten Mal einen Maskenball im Palazzo Tron besuchen. Der bröckelnde Putz im
portego
und die wackelnden Stufen im Treppenhaus haben ernüchternd auf sie gewirkt, aber als sie den Ballsaal betrat, war sie zuerst verblüfft und dann bezaubert.
Der Saal war kleiner, als sie erwartet hatte, aber trotz der vielleicht hundert Personen, die sich in ihm versammelt hatten, wirkte er nicht eng. Elisabeth nimmt an, dass es an den vielen Spiegeln lag, die an den beiden Längsseiten des Raumes das Kerzenlicht reflektierten, den Raum nach allen Seiten dehnten und bei den Gästen ein mildes Schwindelgefühl erzeugten, das sich mit jedem Schritt in den Saal hinein verstärkte. Das Resultat war ein augenblickliches, fast körperlich spürbares Gefühl der Heiterkeit. Etwas Ähnliches hat Elisabeth empfunden, als sie in der letzten Woche allein über die Piazza spaziert ist – aber hier war dieses Gefühl noch stärker, und Elisabeth hat sich gefragt (ein waschechter Wiener Walzer setzte gerade ein, und die wogendeMenge im Ballsaal gruppierte sich zu Paaren), wie es wohl sein mochte, in diesem Raum zu tanzen.
Niemand hat sie beachtet, als sie den Ballsaal betrat. Weder ging sie durch ein Spalier von knicksenden Damen und sich verbeugenden Herren, noch reckten die Ballgäste neugierig die Hälse nach ihr. Wenn Blicke sie trafen, galten sie ihrer Person – nicht der Kaiserin. Dort, wo den Blicken ein Lächeln folgte – die meisten Gäste trugen Halbmasken, die den Mund unbedeckt ließen –, hat Elisabeth das Lächeln erwidert.
Da die Königsegg es für besser hielt, die Contessa Tron im Gewimmel der Gäste allein zu suchen, haben Elisabeth und Königsegg am Rand des Ballsaals gewartet. Fünf Minuten später war die Königsegg wieder da, flankiert von einem weißhaarigen Mann mit freundlichen grauen Augen. Er hat sich als Alessandro da Ponte vorgestellt und sie in die Kapelle gebracht. Vermutlich ist es auch er gewesen, der dem Diener befohlen hat, Champagner in der Kapelle zu servieren.
Elisabeth seufzt und steht auf. Sie streicht ihr Kleid glatt und tritt vor den Altar. Musik dringt durch die Wand, Walzermusik, die gut zu den Engeln auf dem Altarbild passt, denn die Engel sehen wie kleine Liebesgötter aus. Als Elisabeth sich umdreht und in einer Ecke der Kapelle ein Kanapee entdeckt, muss sie lachen. Sie hat beschlossen, alles, was sie irritieren müsste, amüsant zu finden. Dann hört sie, wie hinter ihr die Tür aufgeht, und dreht sich um.
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Da sie vor dem
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