Schnee in Venedig
Elisabeth. «Es wäre unverantwortlich, den Commissario nicht sofort zu informieren.» Sie wendet sich an die Gräfin. «Was wissen Sie über die Gästeliste? Hat Ihre Cousine, die Contessa, sich darüber in der Einladung geäußert?»
«Der größte Teil der Gäste besteht aus venezianischen Familien», sagt die Königsegg.
«Werden Österreicher auf dem Ball sein?»
Die Königsegg schüttelt den Kopf. «Davon hat die Contessa Tron nichts geschrieben.»
«Wie viele Personen werden insgesamt erwartet?»
«Etwa hundertfünfzig.»
«Dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich erkannt werde, gering. Wann wollten Sie aufbrechen?»
«Die Gondel wartet um halb zehn an der Piazzetta.»
Elisabeth erhebt sich. «Ich möchte, dass Sie noch ein paar Dinge für mich erledigen.»
Ihre Anweisungen kommen schnell und präzise. Sie hat einen nicht unbeträchtlichen Teil ihrer Zeit darauf verwandt, auch über diese Frage gründlich nachzudenken.
Vier Stunden später steht Elisabeth zwischen drei großen, im Halbkreis angeordneten Standspiegeln und dreht sich um ihre Achse.
Zwei Dutzend Reifröcke, Krinolinen und Contouches, die die Königsegg aus diversen Kostümverleihen mitgebracht hat, stapeln sich auf ihrer Récamiere, hängen über Stuhllehnen und an Türklinken, bedecken in wirren Haufen den Fußboden des Ankleidekabinetts. Das Ankleidezimmergleicht einer Theatergarderobe – einer, die von der ganzen Truppe benutzt wird. Irgendwo in der Mitte des Zimmers verläuft die Grenze zwischen den Kostümen, die sie bereits probiert hat, und denjenigen, die sie noch probieren wird. Alles ist inzwischen heillos durcheinander geraten. Die Kostüme sind den Geschäften, aus denen sie entliehen wurden, nur noch anhand der eingenähten Etiketten zuzuordnen.
Der Stoff des Kleides, das Elisabeth jetzt angezogen hat (das fünfzehnte oder das sechzehnte?), gefällt ihr. Das Kleid ist aus verblichener grüner Seide, hat zarte Applikationen in Altrosa auf der Vorderseite und ein Band aus winzigen Stoffröschen, das am unteren Saum des Kleides einen verspielten Bogen macht. Sie sieht aus, findet Elisabeth, als sei sie gerade einem Bild von Watteau entstiegen. Allerdings knarrt das Kleid bei jeder Bewegung wie eine schlecht geölte Tür, und außerdem bezweifelt sie, dass man sich darin problemlos setzen kann, geschweige denn vernünftig tanzen. Natürlich wird sie diesen Punkt nicht laut aussprechen.
Elisabeth wendet sich an die Wastl, die drei Schritte hinter ihr steht und die seit zwei Stunden unablässig aufgeknöpft und zugeknöpft, Kleider gereicht und wieder fortgenommen hat.
«Hilf mir raus, und dann gib mir die grüne Krinoline, die auf dem Stuhl liegt.»
Aber auch die Krinoline, das sieht Elisabeth sofort, als die Wastl den letzten Knopf geschlossen hat, wird nicht gehen – nicht für einen venezianischen Maskenball. Die Krinoline sieht nach Paris aus, nach Faubourg Saint-Germain, nicht nach Venedig. Außerdem verlangt das großzügige Dekolleté entsprechenden Schmuck, und Elisabeth hat nicht die Absicht, ein Vermögen auf den Ball der Trons zu schleppen.
Sie schüttelt unwillig den Kopf. «Nein. Das geht auch nicht. Gib mir das Kleid, das unter der roten Contouche liegt.»
An den Hüften ist das Kleid ein wenig zu weit (was sich mit ein paar Stichen korrigieren lassen wird), aber als Elisabeth sich im Spiegel betrachtet, weiß sie, dass sie das Richtige gefunden hat.
Das Kleid ist schwarz – ein tiefes, fast bläulich wirkendes Schwarz –, gewebt aus kräftig strukturierter Seide, die im Licht lebhaft changiert, sodass man den Eindruck hat, es würden knisternde Funken aus den Falten sprühen.
Dabei handelt es sich weder um einen Reifrock noch um eine Krinoline. Lediglich auf der Rückseite und seitlich der Hüften wölbt sich das Kleid ein wenig nach außen – ein leichter Anklang an den Stil des 18. Jahrhunderts und vermutlich der Grund, aus dem man es der Königsegg als Kostüm eingepackt hat. Ein Kragen aus dunkelgrauem Seidentüll umschließt ihren Hals und geht auf der Vorderseite des Kleides in eine Art Spitzenjabot über. Die kurzen Ärmel enden in einer durchbrochenen Borte. Wenn sie ihre schwarzen Seidenhandschuhe trägt, die ihr bis über die Ellenbogen reichen, bleibt eine Handbreit ihrer Oberarme unbedeckt: ein frivoler Effekt, der durch die düstere Strenge des Kleides noch betont werden wird.
Elisabeth setzt ihre schwarze Samtmaske auf und tritt einen Schritt zurück. Der Fächer, den die
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