Schnee in Venedig
Händen fassten und über einen azurblauen Himmel flogen, auf dem selbst die kleinen zerzausten Schäfchenwolken im Walzertakt zu vibrieren schienen.
50
Vier Stunden später – es war jetzt kurz vor drei – standen Tron, die Contessa und ein sprachloser Alessandro am Wassertor des Palazzo und sahen der Gondel nach, in der die Kaiserin, der Graf und die Gräfin Königsegg saßen, um den Canal Grande hinab zurück zum Palazzo Reale zu fahren. Der Schein der Fackeln, die auf dem Steg vor dem Wassertor befestigt waren, reichte vier, höchstens fünf Meter in die Dunkelheit des Kanals, sodass die kaiserliche Gondel mit ihrer aus dünnem Holz gefertigten schwarzen
felze
bereits nach ein paar Augenblicken unsichtbar wurde. Es war windstill, aber deutlich kälter als am Tag zuvor.
«Die Kaiserin tanzt nicht schlecht», sagte die Contessa, indem sie sich umwandte, um in den Palazzo zurückzugehen. «Wenn man bedenkt, dass sie auf den Hofbällen meist nur zugucken darf.»
«Ist das wahr?», fragte Tron.
«Tanzen ist nicht mit ihrer kaiserlichen Würde vereinbar», sagte die Contessa. «Die Kaiserin muss meistens zusehen, wenn die anderen sich amüsieren. Sie wird sich fragen, warum ausgerechnet
sie
das Pech hatte, den Kaiser zu heiraten. Dort, wo sie herkommt, ging es ja wohl etwas lockerer zu.»
«Meinst du, sie ist unglücklich?»
Die Contessa sah Tron an. «Heute war sie glücklich, und das wird sie dir nicht vergessen, Alvise.»
«Ihr habt wunderbar getanzt», sagte Alessandro. «Es sah fast aus, als hättet ihr vorher geübt.»
Tron lachte. «Haben wir nicht. Ich wusste gar nicht, dass sie kommt. Denkst du, es hat irgendjemand gemerkt, dass die Kaiserin auf unserem Ball war?»
Sie hatten den
portego
durchquert und stiegen die Stufen des großen Treppenhauses empor. Die Diener hatten, als sie merkten, dass der Ball sich dem Ende näherte, die Kerzen in den Wandleuchtern nicht mehr ausgewechselt, und die kurzen Stümpfe verbreiteten ein düsteres, rauchiges Licht.
«Ich hoffe», sagte die Contessa trocken.
«Soll das bedeuten, du hast …»
«Chiara Pisani hat mir auf den Kopf zugesagt, dass deine Tanzpartnerin die Kaiserin war.»
«Und was hast du ihr geantwortet?», fragte Tron.
«Dass ich mich nicht daran erinnern kann, den Namen der Kaiserin auf der Gästeliste gesehen zu haben», sagte die Contessa.
«Du hast es nicht ausdrücklich dementiert?»
«Ich habe ihr gesagt, dass der Graf und die Gräfin Königsegg anwesend seien und dass sie noch einen Gast mitgebracht hätten, eine Gräfin Hohenembs. Hast du gewusst, dass sie die Kaiserin war?»
«Ich habe es erst erfahren, als sie in der Kapelle ihre Maske abgenommen hat. Sie wollte über den Lloydfall reden.»
«Wieso hat sie dich nicht in den Palazzo Reale gebeten?»
«Unser Treffen sollte nicht bekannt werden.»
«Wenn es ihr darauf ankam, dich unauffällig zu treffen, hätte sie nach eurem Gespräch den Ball verlassen sollen, anstatt mit dir zu tanzen.»
«Wir dachten, es würde nicht auffallen, wenn wir tanzen. Schließlich waren wir nicht die Einzigen.»
«Der ganze Saal hat sich gefragt, wer diese maskierte junge Frau war, mit der du getanzt hast.»
Sie hatten den ersten Treppenabsatz erreicht und wandten sich vor den beiden großen Schiffslaternen nach rechts,um die letzten paar Stufen zum Vestibül des Ballsaals emporzusteigen. Ein Pulk Gäste, bereits in Pelzmänteln und langen Überziehern, kam ihnen entgegen. Die Damen waren bleich; die Schminke auf ihren Gesichtern begann zu verwischen. Wer sich noch nicht im Ballsaal oder in einem der Salons von der Contessa verabschiedet hatte, tat es auf der Treppe.
«Hat Pergen registriert, dass die Kaiserin auf dem Ball war?», fragte Tron, als sie das Vestibül erreichten.
«Woher soll ich das wissen?»
«Du hast doch mit ihm gesprochen», sagte Tron.
«Das war vor eurem Pas de deux», sagte die Contessa. «Ein Kavalier übrigens, dieser Pergen. War ganz glücklich über die Einladung. Er hat sich bei mir dafür entschuldigt, dass er dir in die Quere gekommen ist. Aber er muss tun, was Toggenburg verlangt, sagt er, und Toggenburg erhält seine Anweisungen aus Wien.»
«Ist der Oberst noch da?», fragte Tron.
«Er hat sich nicht verabschiedet. Ich nehme an, dass er noch da ist.»
Aber im Ballsaal war Pergen nicht. Tron traf lediglich ein halbes Dutzend Lohndiener an, die den Terrazzo fegten, Stühle rückten und Geschirr einsammelten. Jemand hatte eines der großen Fenster geöffnet,
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