Schnee in Venedig
in seinem Büro in der Questura. Ein Tischchen, das von zwei Sesseln flankiert wurde, stand vor einem der Fenster. Die Bilder, ein antiker Marmorkopf auf dem Tischchen (und ein zweiter auf dem Schreibtisch), ein großer Aubusson-Teppich, der die winterliche Kälte milderte, die vom Fußboden aufstieg – alles das flüsterte Reichtum.
Als die Principessa erschien, trug sie auf der Nase einen Kneifer und unter dem Arm einen Stoß Akten. Sie legte die Akten auf dem Schreibtisch ab, bevor sie Tron die Hand gab.
«Was ist in diesen Kisten, die auf dem Hof stehen?», erkundigte sich Tron.
«Glas», sagte die Principessa. «Wir exportieren inzwischen auch nach Amerika.» Sie versuchte vergeblich, den Stolz in ihrer Stimme zu unterdrücken. «Mein Mann hat mir zwei Glasfabriken auf Murano hinterlassen.»
«Wir haben früher auch Glas hergestellt», sagte Tron melancholisch.
«In Murano?» Die Principessa hob interessiert die Augenbrauen.
Tron schüttelte den Kopf. «Nein, hier in Venedig. Das war, bevor die Glasöfen nach Murano verlegt wurden.»
«Das muss lange her sein.»
Tron nickte. «Ist es auch. Mindestens vierhundert Jahre.»
Die Principessa sah Tron überrascht an. «Dann sind Sie einer von
den
Trons?»
Tron zog als Antwort die Schultern hoch. «
Die
Trons gibt es nicht mehr. Es gibt nur noch mich und meine Mutter.»
«Sind Sie …»
«Nein. Ich bin nicht verheiratet.» Tron lachte. «Weder mit einer Frau noch mit meinem Beruf.»
«Sind Sie bei Palffy gewesen, wollte ich fragen.»
Tron räusperte sich verlegen. «Gleich nach unserem Gespräch auf dem Schiff.»
Sie hatten sich in den Sesseln zu beiden Seiten des Tischchens niedergelassen, Tron in der aufrechten Haltung eines Mannes, der weiß, wie er sich in Gegenwart einer Dame zu benehmen hat, die Principessa lässig zurückgelehnt und mit übereinander geschlagenen Beinen. Ihre Miene war ruhig, aber sie spielte nervös mit ihrem Kneifer, der an einer dünnen Kette auf ihre Brust herabhing.
«Konnte der Generalleutnant Ihnen behilflich sein?», fragte die Principessa.
«Er hat mir gesagt, dass Leutnant Grillparzer Schulden in beträchtlicher Höhe hatte und dass der Hofrat sein Onkel war», antwortete Tron. «Hummelhauser ist ein reicher Mann gewesen, und Grillparzer war sein einziger Erbe.»
«Sie hatten also Recht mit Ihrem Verdacht.»
«In gewisser Weise hatte ich Recht mit meinem Verdacht. Aber Leutnant Grillparzer ist es nicht gewesen.»
Die Principessa runzelte die Stirn. «Jetzt kann ich Ihnen nicht folgen, Commissario.»
«Die Militärpolizei hat noch gestern Abend einen anderen Mann verhaftet. Dieser Mann hat eine Art Geständnis abgelegt. Es handelt sich um einen Passagier namens Pellico. Er war Direktor des Waisenhauses auf der Giudecca.»
Einen Moment lang starrte ihn die Principessa wortlos an. Dann nahm sie eine Zigarette aus einem silbernen Kästchen, das vor ihr auf dem Tisch stand, und zündete sie an. Tron sah zum ersten Mal in seinem Leben, wie eine Frau ganz selbstverständlich rauchte, und er war eindeutig fasziniert. Die Principessa inhalierte, atmete aus und sah schweigend dem Rauch nach. Schließlich sagte sie: «Das ist völlig unmöglich, Commissario.» Ihre rechte Hand, in der sie die Zigarette hielt, zitterte.
«Kannten Sie Pellico?»
«Gut genug, um Ihnen zu versichern, dass er es nicht gewesen ist.»
«Haben Sie ihn auf dem Schiff gesprochen?»
«Ich wusste gar nicht, dass er an Bord war. Offenbar ist er in Triest sofort in seine Kabine gegangen. Und beim Frühstück habe ich ihn nicht gesehen. Aus welchem Grund soll er den Hofrat getötet haben?»
«Es ging um Unterlagen über ein geplantes Attentat auf die Kaiserin. Diese Unterlagen hatte der Hofrat in seiner Kabine.»
Die Principessa starrte Tron ungläubig an. «Um
was
, bitte?»
«Um ein Attentat.»
«Das müssen Sie mir genauer erklären.»
Tron zuckte die Achseln. «Viel mehr weiß ich auch nicht. Nur dass die Verschwörer verhaftet worden wären, wenn diese Papiere Venedig erreicht hätten.»
«Also musste Pellico den Hofrat töten, um diese Papiere an sich zu bringen. Ist das die Logik?»
Tron nickte. «So ungefähr.»
Die Principessa hielt kurz die Luft an. Dann sagte sie: «Das ist grotesk, Commissario. Das ist vollkommen grotesk.»
«Darf ich fragen, woher Sie Pellico kennen?»
«Aus meiner Tätigkeit im Beirat des
Istituto.
Ich habe den Sitz von meinem Mann übernommen. Außerdem» – sie machte eine kurze Pause, bevor sie
Weitere Kostenlose Bücher