Schnee in Venedig
weitersprach – «haben wir auch privat miteinander verkehrt, als der Fürst noch lebte.»
«Halten Sie es für möglich, dass Pellico Verbindungen zum
Comitato Vèneto
hatte?»
«Der
Comitato Vèneto
wäre von allen guten Geistern verlassen, wenn er ein Attentat auf die Kaiserin in Erwägung ziehen würde.»
«Hatte Pellico Verbindungen zum
Comitato
?», beharrte Tron.
«Es gab Leute, die diesen Gerüchten geglaubt haben.»
«Und Sie?»
Die Principessa strich mit der Hand über den antiken Mädchenkopf auf dem Tischchen. «Pellico hatte große Sympathien für die italienische Einigungsbewegung, aber er war kein Fanatiker. Andererseits hat er nie ein Hehl aus seinen politischen Überzeugungen gemacht. Und für Pergen mag die Untersuchung eine Rolle gespielt haben, die seit ein paar Wochen gegen Pellico lief.»
Tron beugte sich auf seinem Sessel nach vorne. «Welche Untersuchung?»
«Pellico war Jurist. Er hat vor dreißig Jahren eine lateinische Abhandlung über den Tyrannenmord geschrieben. Über den Tyrannenmord in der Antike.»
«Und diese Abhandlung soll ihn jetzt in Schwierigkeiten gebracht haben?»
«Diese Abhandlung ist vor zwei Jahren ins Italienische übersetzt und in Turin als Broschüre veröffentlicht worden. Man hat sie auf die Liste der verbotenen Bücher gesetzt und ein förmliches Verfahren gegen Pellico eingeleitet. Die Affäre kam sogar im Beirat zur Sprache. Der Beirat hat sich übrigens geschlossen hinter Pellico gestellt.» Die Principessa gab ein abfälliges Schnauben von sich. «Die ganze Angelegenheit ist einfach albern.»
«Offenbar war Pergen über das Verfahren informiert und ist deshalb sofort auf Pellico gekommen», sagte Tron. «Aber eins verstehe ich nicht.»
«Was?»
«Pellico hat – jedenfalls nach Einschätzung Pergens – eine Art Geständnis abgelegt. Er hat sich in seiner Zelle erhängt.»
Mit einem Ruck, so als habe ein Marionettenspieler plötzlich an den Schnüren gezogen, fuhr die Principessa in ihrem Sessel hoch. «Er hat sich erhängt?»
«In einer Verhörpause. Für Oberst Pergen kommt das einem Geständnis gleich.»
Die Augen der Principessa funkelten wie poliertes Silber. «Oberst Pergen ist ein Narr. Um ein freundliches Wort zu gebrauchen.»
«Was für einen Grund könnte Pellico sonst gehabt haben, sich zu töten?», fragte Tron.
«Es gibt tausend Gründe, sich umzubringen, Commissario.»
«Dann nennen Sie mir Pellicos Grund.»
Die Principessa zündete sich eine neue Zigarette an. Sie inhalierte, stieß den Rauch wieder aus und blickte durch die Rauchkringel hindurch zur Decke. Dann sagte sie mit tonloser Stimme: «Pellico fing vor zwei Jahren – nach dem Tod seiner Frau – zu trinken an. Mir hat er einmal gesagt, er trinke, weil er nicht den Mut habe, sich zu töten. Offenbar hat er inzwischen den Mut dazu gefunden. Es ist genauso traurig wie banal.»
«Und was bedeutet das?», fragte Tron.
«Dass es Pellico nicht gewesen ist», sagte die Principessa. «Sein Selbstmord war kein Geständnis.»
«Also hat Pergen den Fall an sich gezogen, weil er Leutnant Grillparzer aus bestimmten Gründen decken will», überlegte Tron.
«Welche Gründe können das sein?», fragte die Principessa.
«Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass sie sich kennen und dass Pergen mir das verschwiegen hat.»
«Und das Attentat auf die Kaiserin – ist das eine Erfindung Pergens?»
Tron zuckte die Achseln. «Vielleicht brauchte Oberst Pergen schnell irgendeine Geschichte.»
«Sind diese Papiere aufgetaucht? Die Unterlagen über das Attentat?»
«In der Mitteilung Pergens an Spaur war davon nicht die Rede. Aber das muss nichts zu bedeuten haben.»
«Was haben Sie jetzt vor?»
«Pergen wird übermorgen einen offiziellen Bericht über diesen Fall vorlegen. Den will ich abwarten.»
«Um was zu tun?», fragte die Principessa.
«Das kommt auf den Bericht an.»
«Ich fahre am Donnerstag nach Verona und bin erst Sonntag wieder zurück.»
«Wir könnten uns …», begann Tron.
Die Principessa unterbrach ihn. «Lieben Sie Verdi?»
Tron nickte.
«Dann besuchen Sie mich doch Mittwoch in meiner Loge. Es gibt den
Rigoletto
.»
15
Am 16. Februar 1862, einem Dienstag, sitzt Elisabeth am Schreibtisch des Kaisers und wartet auf Toggenburg. Aber eigentlich ist es Toggenburg, der im Vorzimmer auf Elisabeth wartet. Für elf Uhr bestellt, hat man ihm höflich bedeutet, dass Ihre Kaiserliche Hoheit noch nicht bereit sei, ihn zu empfangen, und so wartet man gegenseitig
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