Schnee in Venedig
verhältnismäßig eng anliegt, ihre schlanke Figur vorteilhaft betont, was wiederum den Herren gefällt.
So gesehen ist der Mantel ein wichtiger Teil ihres Plans, denn Elisabeth will auf der Piazza nicht nur eine stumme Vorstellung geben, sondern auch ein kleines Gespräch führen, was kein Problem sein dürfte.
Herren sprechen Damen auf der Piazza an. So ist das hier in Venedig, Elisabeth hat es von der Königsegg, ihrer Verbindung zur Außenwelt. Die Oberhofmeisterin kennt die venezianischen Gepflogenheiten, traut sich auch völlig allein in einheimische Geschäfte und weiß tausend Dinge, die Elisabeth nicht weiß, wie eben zum Beispiel, dass Herren auf der Piazza Damen ansprechen – einfach so ansprechen, ohne dass sie sich vorher bekannt gewesen wären. Insbesondere sind es kaiserliche Offiziere (deren elegante Uniformen wahrscheinlich speziell für diesen Zweck entworfen worden sind, denkt Elisabeth), die Damen auf der Piazza ansprechen – englische, deutsche und französische Damen, aber auch venezianische Ehefrauen. Für die,sagt die Königsegg, ist das normal, dass ein Fremder sie anspricht. Wenn eine venezianische Ehefrau einen Freund hat, dann gibt das keinen Skandal, sondern dann heißt der Freund einfach
Cicisbeo
, und der Ehemann, der vielleicht selber bei einer anderen Frau die Rolle eines
Cicisbeo
spielt, findet das völlig in Ordnung und unterhält sich mit dem
Cicisbeo
seiner Frau, sagt die Königsegg, so als wäre der ein völlig normaler Mensch und nicht jemand, den man im Duell umbringen muss. Elisabeth gefällt das. Ab und zu trifft nämlich auch sie auf Herren, die sie sich gut als ihren – wie war das Wort? –
Cicisbeo
vorstellen kann, aber sie bezweifelt, dass Franz Joseph in diesem Punkt mit ihr einer Ansicht ist.
Und dann ist Elisabeth in einem weiten Bogen, der sie am Uhrenturm und am Portal von San Marco vorbeigeführt hat, an der Piazzetta angelangt, steht am Fuß der Säule mit dem geflügelten Löwen und blickt auf den Bacino di San Marco. Vor San Marco hat sie eine Tüte mit heißen Maronen gekauft, hat mit einer Münze bezahlt, die sie nicht kannte, und Wechselgeld zurückerhalten, das sie ebenfalls nicht kannte. Natürlich ist wegen der Watte in ihrem Mund nicht daran zu denken, die Maronen zu essen, aber die Papiertüte, zusammengedreht aus der
Gazzetta di Venezia
, ist herrlich heiß und wärmt ihre Finger. Außerdem hat Elisabeth das Gefühl, dass die Tüte zu ihrer Tarnung beiträgt.
Sie hat vor, eine Viertelstunde auf der Piazza zu verweilen, ein Zeitraum, der auf jeden Fall ausreichen müsste, um sich von einem der Herren aus dem Offizierscorps ansprechen zu lassen. Dann wird sie zehn Minuten oder (wenn ihr der Offizier gefällt) auch ein bisschen länger mit ihm reden, um sich dann zu verabschieden und in aller Ruhe in den Palazzo Reale zurückzukehren, zu einem Zeitpunkt also, an dem die Königseggs noch im Malibran sind. Ein perfekter Plan undein perfekter Abend für diesen Plan, denn der Himmel hat sich weiter aufgeklart, und sie sieht jetzt, kaum zu fassen, einen runden Mond über der Dogana aus den Wolken treten.
Elisabeth stellt fest, dass die Piazzetta jetzt plötzlich voller Menschen ist. Alle strömen sie zum Molo, vielleicht um das Schauspiel des Mondes nicht zu versäumen, der wie ein riesiger Lampion über der Dogana und dem Giudecca-Kanal hängt und eine Garbe glitzernden Lichtes über das Becken von San Marco wirft. Das Offizierscorps, stellt Elisabeth weiter fest, ist unter den nächtlichen Besuchern der Piazzetta gut vertreten. Zwei Offiziere in den Uniformen des Linzer Pioniercorps gehen an ihr vorbei, ein paar Meter weiter sieht sie einen Rittmeister von den Grazer Dragonern eine Tüte
frittolini
verspeisen, und direkt vor ihr, so dicht, dass sein weißer Offiziersmantel sie fast berührt, ist ein Leutnant der Kaiserjäger stehen geblieben. Er hat ein kühnes Medaillenprofil, und Elisabeth (während ihr Herz heftig zu schlagen beginnt) hofft, dass er sich umdreht und sie anspricht, aber dann geht er weiter, sieht sich nicht einmal nach ihr um. Das ist enttäuschend, aber noch hat sie Zeit, denn es ist höchstens eine halbe Stunde vergangen, seitdem sie den Palazzo Reale verlassen hat. Sie dreht eine Acht auf der Piazzetta, dann noch eine, läuft zum Ponte della Paglia, macht am Fuß der Stufen kehrt und spaziert zurück, wobei ihr abermals Offiziere begegnen, einzeln oder in kleinen Gruppen. Wieder spricht niemand sie an, und langsam hat sie den
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