Schnee in Venedig
heiratete sie den Feuerwehrinspektor, der jeden Monat die Erfüllung der Brandschutzauflagen im Fenice kontrollierte. Sie hatte ihn vor drei Jahren ohne große Trauer begraben, und seitdem lebte sie davon, dass sie Teile des Lagerhauses am Canal Grande, das er ihr vererbt hatte, vermietete.
Es war ein einstöckiges, schmuckloses Gebäude mit abblätterndem Putz und einem bäurischen Wassertor. Nur durch eine schmale Calle vom eleganten Palazzo Garzoni getrennt, sah es aus wie eine Kröte neben einer Prinzessin, aber es brachte ihr gutes Geld ein. Die meisten Venezianer kannten das unscheinbare Haus, weil an seiner Westseite der Anleger einer der wichtigsten Fährverbindungen zwischen den beiden Ufern des Canalazzo lag, der Traghetto Garzoni.
Sie selber bewohnte eine der zwei kleinen Wohnungen,die zum Canal Grande hinausgingen; die andere war vermietet, und genau das war der Grund dafür, dass sie jetzt vor dem Spiegel saß, sich Gedanken über ihre Zähne machte und dabei spürte, wie ihr Herz klopfte.
Nicht, dass an Signor Moosbrugger, der seit einem halben Jahr in der Wohnung neben ihr wohnte, etwas Besonderes gewesen wäre. Er war um die fünfzig, sprach ein knarziges Italienisch, aber er war hoch gewachsen und hatte breite Schultern und starke Hände. Was ihr am meisten an ihm gefiel, waren seine gemessene Höflichkeit und – seit sich vor einem Monat ihr Verhältnis entscheidend verändert hatte – die Blicke, mit denen er sie bedachte, wenn sie sich begegneten. Sie fand, dass die diskrete Werbung, die in seinen Blicken lag, nicht zu übersehen war.
Da sein Beruf ihn dazu nötigte, ständig unterwegs zu sein – er ging einer Tätigkeit im seemännischen Bereich nach –, sah sie ihn höchstens zweimal in der Woche. Im Dezember letzten Jahres hatte es sich eines Morgens ergeben, dass er kein Wasser mehr hatte und deshalb in ihre Küche kam. Sie hatte ihm einen Kaffee angeboten und ein wenig mit ihm geplaudert. Seitdem kam er, immer wenn er in der Wohnung übernachtet hatte, morgens bei ihr vorbei, um eine Tasse Kaffee zu trinken – es waren harmlose Treffen, die sich im Rahmen des Schicklichen hielten, jedenfalls bis vor vier Wochen etwas Bedeutsames geschehen war.
Selbstverständlich hatte sie den obersten Knopf ihrer Bluse nicht absichtlich offen gelassen, als er morgens in ihrer Küche auftauchte, um seinen Kaffee zu trinken. Aber dann war nicht zu übersehen gewesen, wie sein Blick an ihrem Dekolleté hängen blieb, als sie sich über den Tisch beugte, um Kaffee einzuschenken. Zuerst war sie bestürzt gewesen. Doch dann hatte sie mit Befriedigung registriert, dass sich seine Einstellung ihr gegenüber nach diesem Vorfallverändert hatte. Sie spürte es an seinen Blicken, an der Art, wie er ihre Gestalt betrachtete, wenn er mit ihr sprach.
Im Spiegel sah Filomena Pasqua durch die geöffnete Tür hindurch in ihr Wohnzimmer. Der Tisch, an dem sie essen würden, war bereits liebevoll gedeckt, und die Kerzen in den hübschen Messingleuchtern flackerten, weil das Fenster noch offen stand. Nachher würde sie es schließen – niemand kommt bei Zugluft auf zärtliche Gedanken. Bis jetzt, fand sie, lief alles perfekt.
Ein wenig irritiert hatte sie allerdings der Offizier, der an der Tür geklopft hatte, als sie noch einmal kurz das Haus verlassen wollte, um Kaffee zu kaufen. Er hatte Moosbrugger sprechen wollen, der ebenfalls noch Besorgungen machte. Filomena Pasqua hatte den Offizier ohne Bedenken in Moosbruggers Wohnung geführt und ihn dort warten lassen – kaiserliche Offiziere ließen in fremden Wohnungen nichts mitgehen.
Als Filomena Pasqua von ihrem Einkauf zurückkam, war auch Moosbrugger wieder da – sie erkannte es an seinen Stiefeln, die neben der Wohnungstür standen. Ein wenig später hörte sie, wie die Tür klappte und der Offizier das Haus wieder verließ – offenbar war seine Unterredung mit Moosbrugger nur kurz gewesen.
Auf Filomena Pasquas Herd köchelte eine Krebssuppe (sie glaubte fest daran, dass Krebssuppen eine erotisierende Wirkung hatten), und als sie feststellte, dass ihr zwei Weingläser fehlten und sie es ohnehin nicht erwarten konnte, Moosbrugger zu sehen, beschloss sie, ihn um zwei Gläser zu bitten. Also verließ sie ihre Wohnung, durchquerte den
portego
, der zwischen ihrer Wohnung und der Moosbruggers lag, und klopfte an seine Tür. Als nichts zu hören war, drückte sie die Klinke nach unten und trat ein.
«Signor Moosbrugger?»
Sie versuchte, einen girrenden,
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