Schnee in Venedig
Königsegg an. «Wo kann ich etwas über Armeeangehörige erfahren, ohne dass es auffällt, Herr Generalleutnant?»
«In Verona, Kaiserliche Hoheit. Im Militärarchiv. Es gibt dort über jeden kaiserlichen Offizier, der hier in Italien stationiert ist oder stationiert war, eine Akte. Aber die Herren vom Archiv hüten ihre Bestände wie die Kronjuwelen.»
«Was ist normalerweise notwendig, um Akten aus dem Militärarchiv anzufordern?»
«Das hängt davon ab, wie die Akte klassifiziert wurde.» Königsegg denkt kurz nach. «Wenn es sich um Bestände handelt, die keiner Geheimhaltung unterliegen, reicht eine Eingabe beim Leiter des Archivs. Das hat selbstverständlich schriftlich und unter Angabe von Gründen zu geschehen. Dann macht der Leiter des Archivs einen Vermerk auf der Aktenanforderung und reicht sie an einen der Unteroffiziere weiter. Der holt dann die Akten aus dem Archiv und fertigt ein Entnahmeprotokoll aus.»
Königsegg lockert den obersten Knopf seiner Uniformjacke und trinkt einen Schluck Wasser. «Auf diesem Entnahmeprotokoll», fährt er fort, «ist der Umfang der Entnahme festgehalten – also um wie viel Blatt es sich handelt –, der voraussichtliche Entnahmezeitraum und die Klassifizierungsstufe. Dieses Entnahmeprotokoll geht dann an die anfordernde Dienststelle, die nach Kenntnisnahme des Protokolls einen endgültigen Anforderungsantrag stellt, den so genannten Zweitantrag. Wenn die vorgesetzte Behörde den Anforderungsantrag billigt und einen entsprechenden Aktenvermerk ausfertigt, kann der Zweitantraggestellt werden, dem in der Regel innerhalb einer Frist von vier bis sechs Monaten entsprochen wird. Es sei denn, Sie kennen jemand im Militärarchiv.»
Elisabeth runzelt die Stirn. «Es reicht vielleicht, wenn ich jemanden kenne, der jemanden kennt. Wie ist es mit Ihnen?»
«Ein Vetter von mir leitet die Hauptregistratur.»
«Wann geht der nächste Zug nach Verona, Herr Generalleutnant?»
Die Anrede mit dem militärischen Titel, sagt sich Königsegg, lässt darauf schließen, dass gleich ein Befehl folgen wird. «Um zwölf Uhr, Kaiserliche Hoheit.»
Und jetzt duldet der kaiserliche Tonfall tatsächlich keine Widerrede mehr. «Dann werden Sie den Zwölfuhrzug nach Verona nehmen und sich ein wenig im Militärarchiv umsehen.»
Königsegg weiß, dass es sinnlos ist zu widersprechen. Außerdem hat er immer noch ein schlechtes Gewissen wegen letzter Nacht. «Welche Akten wollen Kaiserliche Hoheit haben?»
«Die von Oberst Pergen und die von Leutnant Grillparzer – das ist der Name des Leutnants, der auf der Liste steht.»
Königsegg verbeugt sich. Beim Verbeugen wird ihm immer noch leicht übel, aber es ist schon besser als heute Morgen, als er fast vor dem Waschtisch kollabiert wäre und gezwungen war, sich von seinem Kammerdiener auf der Bettkante waschen zu lassen.
«Da wäre noch etwas», sagt Elisabeth.
«Ja, Kaiserliche Hoheit?»
«Ennemoser hat den geheimnisvollen Besucher vom Fenster aus gesehen. Allerdings nur von oben und im Dunkeln. Er sagte, der Mann trug einen schwarzen Mantel, so wie Priester ihn tragen. Sonst hat er nichts erkannt.»
«Warum erwähnen Kaiserliche Hoheit das in diesem Zusammenhang?»
«Weil auf der Passagierliste auch ein Priester steht.»
«Viele Priester im Veneto waren früher Feldkaplane», sagt Königsegg nachdenklich. «In diesem Falle müsste er ebenfalls eine Akte in Verona haben.»
«Dann finden Sie es heraus, Herr Generalleutnant. Nehmen Sie die Passagierliste mit nach Verona.»
In ihrer Suite, denkt Elisabeth, werden die Königseggs sofort anfangen, über die Frage zu diskutieren, warum sie die Akten morgen früh haben möchte. Die Antwort darauf ist ganz einfach, aber Elisabeth hat nicht vor, sie den Königseggs zu verraten. Jedenfalls nicht vor morgen Mittag.
Sie tritt ans Fenster. Die geschlossene Wolkendecke, die heute Morgen den Himmel bedeckt hat, ist aufgerissen, und Elisabeth sieht die Sonne auf den Schneekappen der Dogana und der Salute blitzen. Ein griechischer Raddampfer (Elisabeth kann die Flagge am Heck erkennen) kommt aus dem Giudecca-Kanal und stampft langsam, eine dunkle Qualmwolke hinter sich herziehend, in den Bacino di San Marco. Gondeln weichen dem Dampfer aus, auf seiner Bugwelle hüpfen sie auf und nieder.
Komisch, denkt Elisabeth, seitdem dieser abscheuliche Mord auf dem Lloyddampfer passiert ist und Toggenburg versucht, mich loszuwerden, geht es mir richtig gut.
Als die Wastl ein paar Minuten später den Salon
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