Schnee in Venedig
ebenfalls. Das ergab ein elegantes Klingen, das ihn an den Kampf zweier Florettfechter denken ließ.
Am schönsten aber war der Ton, den die Messerklinge zusammen mit dem Pferdeleder erzeugte, insbesondere dann, wenn er ein hohes Tempo vorlegte und den Griff des Messers so anfasste wie den Bogen einer Violine. Nur so war es möglich, die Messerklinge fast parallel auf das Leder klatschen zu lassen, um dann, beim Abziehen, das Handgelenk minimal zu kippen. Das Geräusch, das auf diese Weise erzeugt wurde, war ein feines Klatschen, gefolgt von einem satten Zirpen, völlig ohne metallische Anklänge. Es schien das Geräusch zu antizipieren, mit dem die Klinge durch etwas Lebendiges fuhr – durch Fleisch und Knorpel. Das Einzige, was noch fehlte, war das saugende Gurgeln, das auf den Schnitt folgte, das dumpfe
Schschllrrrpfff
des letzten Atemzugs.
Als er fertig war, wischte er das Messer mit einem weichen Tuch sorgfältig ab, um auch die letzten Spuren desBimssteinpulvers zu entfernen, und stand auf. Mit der linken Hand nahm er einen Wollfaden vom Tisch, ließ ihn auf die nach oben gerichtete Schneide des Messers fallen und registrierte befriedigt, wie der Faden über der Schneide des Messers in zwei Teile zerfiel.
Inzwischen hatte die Katze ihr Spiel mit der Billardkugel aufgegeben. Sie strich um seine Beine und sah erwartungsvoll zu ihm auf. Er lächelte, bückte sich und fing an, mit der linken Hand ihren Bauch zu kraulen. Die Katze hatte die Augen halb geschlossen und schnurrte.
Sie schnurrte immer noch, als das Messer auf ihren Hals herabschoss. Die Klinge durchdrang die weiße Hemdbrust ihres kleinen Fracks so glatt wie Wasser. Erst als er den Widerstand der Nackenwirbel spürte, zog er die Hand wieder nach oben.
Dann stand er auf, öffnete einen Fensterflügel und warf die Katze in den Rio vor seinem Fenster. Die Flut würde sie zuerst in den Giudecca-Kanal treiben, von dort in die nördliche Lagune und dann weiter ins offene Meer.
42
«Kaiserliche Hoheit werden was?»
Königsegg stellt die Tasse, die er zum Mund führen will, auf die Untertasse zurück. Seine geröteten Augen sind vor Schreck geweitet. Die Vorstellung, auf irgendeinem norditalienischen Schlachtfeld den Heldentod zu sterben, hat plötzlich etwas Reizvolles für ihn.
«Ich werde Sie und die Gräfin auf diesen Ball begleiten», sagt Elisabeth. «Als Ihre Nichte, die Sie gerade in Venedig besucht. Ich werde eine Maske tragen. Und Sie werden fürmich ein Gespräch mit dem Commissario arrangieren. Unter vier Augen. In einem der Salons, die nicht für den Ball benutzt werden. Sie sagen ihm, eine Gräfin Hohenembs wünsche ihn wegen des Lloydfalles zu sprechen.»
Königsegg unternimmt einen Versuch, sich zur Wehr zu setzen. «Ich könnte ein Treffen mit dem Conte arrangieren», sagt er. «Kaiserliche Hoheit bräuchten sich nicht persönlich zu bemühen.»
Elisabeth lächelt. «Das ist sehr freundlich von Ihnen. Aber ich denke nicht, dass wir diese Angelegenheit auf die lange Bank schieben sollten.»
Letzte Nacht, vor dem Einschlafen, hat Elisabeth versucht, sich den Ball in allen Einzelheiten vorzustellen. Diese Trons würden Kerzenlicht in den Salons haben – große venezianische Kronleuchter aus Muranoglas lassen sich nicht für einen Betrieb mit Petroleum umrüsten. Kerzen also, die von den Kronleuchtern herabstrahlen, und Kerzen in Kandelabern an den Wänden. Fackeln am Wassertor und im Treppenhaus, dort steinerne Stufen, in der Mitte ausgetreten von den Schritten vieler Jahrhunderte, und, nach der Kälte des Treppenhauses, ein überheizter Ballsaal, ein summender Bienenkorb voller Contouches, Kniebundhosen, Reifröcke, gepuderter Perücken und Kavaliersdegen, Schönheitspflästerchen, Fächer und über allem der Geruch nach Wachs und altmodischen Parfums. Und wenn es wirklich so frivol auf diesen Bällen zugeht, wie die Gerüchte besagen, dann gibt es massenhaft Kavaliere, die eine hoch gewachsene, schlanke Signorina zum Tanz auffordern werden.
Merkwürdig, denkt Elisabeth, wie oft sie in den letzten Tagen Lust gehabt hat zu tanzen. Nicht als Kaiserin von Österreich mit Franz Joseph auf einem der großen Bälle in der Hofburg, wo jeder Schritt und jedes Wort vorgeschriebensind – nein, besten Dank. Elisabeth hat Lust,
richtig
zu tanzen, sich während des Tanzens ein wenig zu vergessen und nicht ständig daran zu denken, dass zweihundert Augenpaare jeder ihrer Bewegungen folgen.
«Wir würden unnötig Zeit verlieren», sagt
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