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Schnee in Venedig

Schnee in Venedig

Titel: Schnee in Venedig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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müsse – daher das Disziplinarverfahren und der Eintrag in die Akten. Eine weitere Vernehmung des Offiziers konnte durch Oberst Pergen verhindert werden. Der Mörder der Prostituierten wurde nie gefasst. Sie hatte Einschnürungen an den Handgelenken. Auf dem Oberkörper Spuren von Bissen.
    Im Grunde, denkt Elisabeth, muss man nur zwei und zwei zusammenzählen: Die Einschnürungen an den Handgelenken. Die Würgemale am Hals. Die Bisse auf dem Oberkörper. In Gambarare, in Wien – und auf der
Erzherzog Sigmund
. Dasselbe Muster im Ablauf der Tat. Derselbe Täter. Und wieder Pergen, der das Verfahren manipuliert.
    Elisabeth nimmt das silberne Glöckchen, das auf dem Schreibtisch steht, und klingelt. Der Wastl, die eingetreten ist, schenkt sie ein Lächeln. Es ist ein Lächeln der Befriedigung und der Vorfreude.
    «Sag den Königseggs, dass ich sie um zehn in meinem Salon sprechen möchte. Und bring mir frischen Kaffee.»
    Elisabeth weiß, dass der Vorschlag, den sie den Königseggs unterbreiten wird, nicht auf Begeisterung stoßen wird, schon wegen der erforderlichen Vorbereitungen. Aber auf die freut sie sich bereits.

41
    Im Spiegel sah er, wie die Katze von dem Stuhl sprang, auf dem sie zusammengerollt gelegen hatte und sich, wie immer, nachdem sie geschlafen hatte, gähnend streckte.
    Sie war höchstens ein halbes Jahr alt, und mit ihrer schneeweißen Brust und ihrem schwarzen Rücken sah sie aus, als würde sie einen kleinen Frack tragen. Jetzt fing sie an, eine Billardkugel über den glatten Terrazzofußboden zu jagen, und immer, wenn die Kugel an der Wand abprallte, prallte auch die Katze gegen die Wand, weil sie es nicht schaffte, auf dem glatten Fußboden rechtzeitig zu bremsen.
    Er nahm seine Maske ab, weil er lachen musste, als er beobachtete, wie die Katze jedes Mal kläglich maunzte, bevor sie ihre Jagd wieder aufnahm. Vor einer Woche war sie einfach mit ihm ins Haus geschlüpft. Als er sie auf dem Treppenabsatz entdeckte, hatte sie ihr Fell an seinem Hosenbein gerieben, zu ihm hochgeblickt und miaut. Irgendetwas hatte ihn davon abgehalten, ihr einen Tritt in die Rippen zu geben, vielleicht das Läuten der Glocken, das gerade in diesem Moment eingesetzt und ihn daran erinnert hatte, dass auch sie ein Geschöpf Gottes war.
    Jetzt standen zweimal am Tag auf dem obersten Treppenabsatz ein Napf mit Essensresten und eine Schale mit frischem Wasser für die Katze bereit. Er hatte keine Ahnung, wo sich das Tier aufhielt, wenn er nicht im Haus war, aber immer, wenn er die schwere Tür aufschloss und das Treppenhaus betrat, war sie da und folgte ihm, wie ein kleiner Hund, nach oben.
    Der Spiegel, vor dem er stand und sich kritisch betrachtete, hatte einen zarten goldenen Rahmen mit zierlich gearbeiteten Blumengirlanden, und da das Spiegelsilber in schlechtem Zustand war, gab es sein Bild nur unvollständigzurück. Das war – jedenfalls wenn man gewohnt war, auf Details zu achten – etwas hinderlich, aber andererseits war nicht zu erwarten, dass die Räume, in denen er sich heute Abend bewegen würde, übermäßig hell sein würden. Er war sich sicher, dass man auf moderne Petroleumbeleuchtung vollständig verzichten und sich darauf beschränken würde, den Ballsaal, die angrenzenden Räume und das Vestibül mit Kerzen zu erleuchten. Alles andere wäre geschmacklos gewesen. Geld, dachte er, hatten die Trons nicht, aber sie hatten einen gewissen Stil.
    Er trat einen Schritt zurück, sodass sein vollständiges Bild im Spiegel erschien: ein hoch gewachsener, schlanker Herr, gekleidet in ein Kostüm des 18.   Jahrhunderts; ein Herr, der eine Maske trug, die sein Gesicht bis auf das Kinn und den Mund verdeckte, und der jetzt seinen Dreispitz schwungvoll vom Kopf nahm, sich aus der Hüfte heraus verbeugte, wobei seine nach oben gezogenen Mundwinkel darauf schließen ließen, dass er lächelte.
    Heute Mittag hatte er früh gegessen und anschließend verschiedene Kostümverleihe besucht. Am Campo Bartolomeo hatte er schließlich gefunden, wonach er gesucht hatte: eine Kombination aus graugrüner Seide, bestehend aus Weste, Rock und einer Kniebundhose, kein neu gearbeitetes Kostüm, sondern ein altes, dessen Farben bereits verblichen, und genau das hatte er gesucht. Ein Paar Schnallenschuhe hatte er zusammen mit einem Paar seidener Strümpfe in der Frezzeria gekauft. Die Schuhe waren ein bisschen zu klein, aber ihr grau gefärbtes Leder passte hervorragend zum Ton des Rocks und der Hose. Es gab nichts an ihm, was

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