Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Schneegeflüster

Titel: Schneegeflüster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind , Rebecca Fischer , Steffi von Wolff , Andrea Vanoni
Vom Netzwerk:
um den großen, festlich geschmückten Tannenbaum, der wie der Rest der Wohnung aus einem Weihnachtsbilderbuch für Kinder hätte stammen können. Kerzen brannten, Engelsfiguren und Nussknacker waren sorgfältig aufgestellt, Tannenzweige mit roten Schleifen auf Fensterbänken und Tischen platziert, die wiederum mit eifrigen Weihnachtsmännern und Rentieren gemusterte Deckchen zierten. Was wie geballter Kitsch hätte wirken können, empfanden Ben und Theresa nach dem Horror in Tommys und Mandys Wohnung als beruhigend.
    »Sie können sich gar nicht vorstellen, wie dankbar wir Ihnen sind«, sagte Ben und kaute einen Zimtstern.
    »Wollten Sie nicht wegfahren?«, fragte Frau Zacharias und reichte Theresa eine Tasse dampfenden Tees.
    »Bei dem Wetter …«, erklärte Ben kopfschüttelnd.

    Frau Zacharias winkte ab. »Die im Fernsehen haben doch keine Ahnung. Es wird höchstens regnen, glauben Sie mir.«
    »Und warum sind Sie hiergeblieben?«, fragte Theresa die alte Dame.
    »Die Familie meines Sohnes hat sich einen furchtbaren Magen-Darm-Virus eingefangen«, erklärte Frau Zacharias mit deutlichen Zweifeln in der Stimme.
    »Auf jeden Fall haben Sie hier alles wunderschön geschmückt«, lobte Theresa.
    »Mache ich immer«, sagte Frau Zacharias. »Egal, was damals passiert ist.«
    Während Ben schnell noch ein Plätzchen nahm, begegnete Theresa dem versonnenen Blick von Frau Zacharias und fragte: »Was meinen Sie?«
    »Vor genau zehn Jahren ist mein Mann am Heiligen Abend gestorben.«
    »Das Herz?«, fragte Theresa vorsichtig.
    Frau Zacharias schüttelte den Kopf. »Ein Fahrradfahrer hat ihn überfahren.«
    Bens Plätzchen zerkrümelte in seiner Hand.
    »Die Fahrbahn war vereist, der Junge kam ins Rutschen - und weil er so schnell gefahren war, traf er meinen Richard mit voller Wucht. Sein Kopf schlug auf dem Bürgersteig auf - und das war’s.«
    »Das muss ein furchtbarer Schock gewesen sein«, sagte Theresa.
    Frau Zacharias zuckte die Achseln. »Er wäre sowieso nicht zurückgekommen.«
    Ben und Theresa sahen die alte Dame irritiert an.
    »Bevor er die Wohnung verließ, hatte er mir gesagt, dass
er mich nicht mehr liebt. Dass ihm das Leben mit mir abgestanden und langweilig vorkäme und er sicher sei, dass auf ihn noch jede Menge spannender Entdeckungen warteten.«
    »Bestimmt hat er das nicht so gemeint«, gab Ben zu bedenken.
    »O doch«, widersprach Frau Zacharias. »Glauben Sie mir, nach 48 Jahren Ehe weiß man, wie der andere etwas meint.« Die alte Dame machte eine wegwerfende Handbewegung. »Was soll man machen? So ist das Leben.«
    Ben und Theresa schwiegen unbehaglich.
    »Noch ein Plätzchen?«, fragte Frau Zacharias.
    »Danke«, sagte Ben kopfschüttelnd.
    »Tee?«
    Theresa antwortete nicht. Sie starrte Frau Zacharias so gedankenverloren an, als hätte sie einen Geist gesehen.
    »Ich hoffe, ich habe Ihnen mit meiner kleinen Weihnachtsgeschichte jetzt nicht den Appetit verdorben«, sagte Frau Zacharias.
    »HILFE!!! HIIIIILLLLFEEEE!«
    Ben, Theresa und Frau Zacharias verstummten. Die verzweifelte Stimme kam aus dem Treppenhaus.
     
    Ben trat aus Frau Zacharias’ Wohnung. Kreidebleich und mit immer noch stark geröteten Augen sah Tommy aus wie das Opfer in einem Zombiestreifen, während er sich taumelnd von Stufe zu Stufe zu Ben hinunterarbeitete.
    »Mandy hat sich eingeschlossen. Sie will sich bestimmt was antun!«
    »Wieso sollte sie …«
    »WIESO? WEIL DIE PISTOLE WEG IST!«
    Theresa, die hinter Ben in der Wohnungstür erschienen
war, wandte sich schnell an Frau Zacharias. »Alles unter Kontrolle.«
    »UNTER KONTROLLE? Sie bläst sich jeden Moment ein Loch in den Schädel! Ich muss … ich muss die Tür aufbrechen.«
    Dieser Gedanke schien Tommy erst jetzt gekommen zu sein. Er gab ihm aber genug Antrieb, um sich auf dem Absatz umzudrehen und wieder die Treppen hochzutaumeln.
    Ben sah zu Theresa, die auch nur die Achseln zucken konnte. Eigentlich lag Ben nichts ferner, als noch einmal in die Wohnung von Tommy und Mandy zurückzukehren. Andererseits besaß er die Pistole und damit ein entscheidendes Argument, um den sichtlich verzweifelten Tommy vorerst zu beruhigen.
    »Ich sollte ihm wohl besser sagen, dass ich …«
    Theresa nickte.
    Ben setzte sich in Bewegung, drehte sich aber noch einmal zu Theresa um.
    »Kommst du mit?«
     
    Als sie gemeinsam in der Wohnung ankamen, warf Tommy sich gerade mit all seiner Kraft gegen die von Mandy verschlossene Schlafzimmertür, die jedoch standhielt. Tommy stöhnte

Weitere Kostenlose Bücher