Schneegeflüster
Manteltasche auf knisterndes Seidenpapier und zog ein Päckchen heraus: Emmis Weihnachtsgeschenk.
Auf einmal war ihm alles gegenwärtig: Wegen der Perlenkette hatte er seinen Chef um einen Vorschuss gebeten. Es war das erste Mal gewesen, und er hatte deswegen lange gezögert.
Die Perlen hatte Emmi im Frühling entdeckt. Bei einem Bummel durch die Einkaufsstraße war Emmi vor Juwelier Dietrichs neu dekoriertem Schaufenster stehen geblieben. Sie brauchte nichts sagen. Er sah ihr an, wie sehr ihr die Kette gefiel. Es waren sehr kleine Perlen, und sie würden an ihrem schmalen Hals wunderschön aussehen. Aber sie waren viel zu teuer.
Sie hatten über den Schmuck nie gesprochen. Arthur
begann, in der Bank Überstunden zu machen. Mit dem ersten zusätzlichen Geld zahlte er die Kette an und ließ sie sich zurücklegen. Monat für Monat schaffte er es, seine Rate zu leisten. Er hatte vor, den Restbetrag mit seiner Weihnachtsgratifikation zu bestreiten. Täglich malte er sich Emmis Überraschung und Freude aus. Doch auf dem Weg zum Juwelier, im Weihnachtsgedränge, rempelte ihn jemand an. Und seine Brieftasche mit dem Geld für die letzte Rate war verschwunden.
Arthur hatte mit sich gekämpft. Er wusste, was sein Chef von Angestellten hielt, »die es nicht schafften, zu wirtschaften«. Doch er dachte an Emmi und bat um den Vorschuss. Der Chef hatte ihn auf Heiligabend vertröstet. Als Arthur endlich vor dem Juwelierladen stand, war bereits geschlossen. Er hatte den Schmuckhändler herausläuten müssen. Doch das Etui für Emmi hielt er in Händen …
Arthur legte das Päckchen unter den Baum. Eine Fichte, mit Nadeln, die piksten. Er ging zum Esstisch, strich mit den Fingerspitzen über die feine Decke, die Stoffservietten. Emmi hatte das gute Geschirr aufgedeckt. Auf der Anrichte stand eine Flasche Rotwein. Den leisteten sie sich nicht oft. Er ließ den Blick durch den Raum schweifen. Es gab keinen Zweifel. Alles war an seinem Platz.
»Emmi!«, rief Arthur, plötzlich hellwach. »Ich bin zu Hause! Was machst du denn?«
Irgendwo oben hörte er Poltern. Kam es vom Dachboden? Er vernahm leichte Schritte, und Emmi erschien in der Wohnzimmertür. Ihr hübsches blaues Kleid war zerknittert, in ihrem Haar hingen Spinnweben. Sie lachte und streckte ihm etwas entgegen. »Sieh mal, was ich gefunden habe! Bei Omas Weihnachtssachen.«
Es war ein kunstvoller Scherenschnitt, ein filigran gearbeiteter Stern aus glänzendem dunkelrotem Papier.
»Schön.«
»Eigentlich habe ich nach unserem Rauschgoldengel gesucht.«
»Den fandest du doch zu kitschig.«
»Du hast ihn hoffentlich nicht weggeworfen?«
Arthur lächelte. »Einen Engel? Bestimmt nicht.«
Emmi trat näher und fuhr ihm mit allen zehn Fingern durchs Haar und über den Nacken. »Du bist ja ganz nass geworden. Komm, zieh den Mantel aus.«
Sie holte ein Handtuch, um ihn liebevoll abzutrocknen, und Arthur genoss ihre Fürsorge. Schließlich zog er sie an sich, sie küssten sich. Sie fühlte sich warm und weich an, und ihre Stimme klang heiter, während sie ihm von ihrem Tag erzählte. Es war alles wie immer, nur noch etwas schöner, weil Weihnachten war.
Sie trugen gemeinsam auf, aßen, und Arthur sagte, wie gut es ihm schmeckte. Dann zündeten sie die Kerzen am Christbaum an. Arthur las die Weihnachtsgeschichte nach Lukas, und Emmi stimmte ein Weihnachtslied an. Er bemühte sich, keine falschen Töne zu singen, und wie jedes Jahr brach Emmi irgendwann lachend ab.
Längst hatte sie ihr Päckchen unter dem Christbaum erspäht, doch als er es ihr überreichte, war sie offenbar ahnungslos. Arthur sah ihr gespannt zu. Als sie das Etui des Juweliers Dietrich ausgepackt hatte, huschte ein Ausdruck ungläubigen Staunens über ihr Gesicht, und als die Perlenkette vor ihr lag, war sie zunächst sprachlos und dann aus dem Häuschen vor Freude. Sie fiel ihm um den Hals und brach in Tränen aus.
Arthur hatte einen ganzen Stapel Päckchen vor sich. Das ganze Jahr über sammelte Emmi Ideen, und unter dem Weihnachtsbaum fand er dann Bücher, die ihn interessierten, Schallplatten, von denen sie wusste, dass er sie gern hören würde, oder das Abonnement einer Zeitschrift, das er sich nicht leisten wollte. Diesmal hatte sie einen reizenden antiquarischen Stich entdeckt, eine Stadtansicht, die das Viertel, aus dem er stammte, vor rund hundert Jahren zeigte. Es war ein Geschenk, das ihn rührte.
Später saßen sie nebeneinander am Ofen und lasen. Arthur nahm Emmis Hand. Sie sah auf,
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