Schneegeflüster
Bombenangriff auf Hamburg im Sommer 1943 ums Leben gekommen. Das konnte er gar nicht wissen. Sollte Laura es ihm sagen? Voller Mitgefühl sah sie Wolfgang zu, wie er ihnen mit bemühtem Lächeln Champagner nachschenkte. Leise entschuldigte er sich bei ihr für seine taktlose Bemerkung über
ihren Freund. Er habe kein Recht zu urteilen. Laura legte die Hand kurz an seine Wange, bevor sie ihn sanft auf die Lippen küsste. »Wir sollten alles genießen, wie es kommt«, flüsterte sie ihm ins Ohr, als sie ihn zurück auf die Tanzfläche zog. Beim nächsten Lied schmiegte sie sich noch enger in seine Arme. Für diese eine Nacht wollte sie ihr Leben mit Janis einfach vergessen und die Laura sein, die Wolfgang sich wünschte.
Es war weit nach Mitternacht, als sie in einem großen gelben New Yorker Taxi zurück nach Downtown fuhren. Als die Hinterachse in der Seventh Avenue hart über ein Schlagloch flog, landete Laura auf Wolfgangs Schoß. Der Inder mit dem kobaltblauen Turban tat, als würde er nichts von dem bemerken, was auf seinem Rücksitz geschah. Wolfgangs Lippen waren samtweich vor Verlangen. Auch Laura war hungrig. Leicht im Kopf von Rotwein und Champagner gab sie sich seinem Kuss hin, der ihr sein Märchen vom salzigen Meer erzählte. Einen Moment lang hatte Laura Bedenken wegen ihrer Verwandtschaft. Aber dann sagte sie sich, es könne ja gar nicht sein, dass sie im New York der Achtzigerjahre mit ihrem toten Onkel im Taxi knutschte. Wolfgang gehörte nicht in ihre Welt.
Aber als er zwischen immer feurigeren Küssen ihren Namen flüsterte, hatte Laura mit einem Mal eine Erinnerung. Sie lag auf dem Dachboden in Hamburg in Wolfgangs Armen. Die BBC brachte ein Lied von Duke Ellington, und bis auf ihren altmodischen Unterrock und seine Unterhose waren sie beide nackt. Er schob ihren Unterrock höher, spreizte sanft ihre Beine und ließ seine Zunge auf ihrer Perle tanzen, bis sie vor Lust fast wahnsinnig wurde. Dann legte er sich auf sie. Doch da bat sie ihn plötzlich aufzuhören
und fing an zu weinen. Sie hatte Angst vor einer Schwangerschaft. Es wäre ihr erstes Mal gewesen, aber sie traute sich nicht. Enttäuscht reichte er ihr das kirschrote Kleid. Das war ihr letztes Weihnachten. Laura jagten auf dem Rücksitz des Taxis kalte Schauder über den Rücken. Darum war er gekommen! Wenn sie die Laura von damals war, wer war sie dann heute? In ihr breitete sich ein Nebel aus, der es ihr nicht erlaubte, diesen Gedanken weiter zu verfolgen. Seine tastenden Hände zwischen ihren Beinen trieben sie an den Rand der Klippe, während ein Meer von Lust um sie herum immer höhere Wellen schlug.
Später, zurück in ihrer Wohnung, wurden seine Küsse an der Schwelle zu ihrem Schlafzimmer drängender, und erneut wurde Laura von einer Woge der Erinnerung überflutet. Diesmal stand sie gemeinsam mit Wolfgang im Hamburg der frühen Kriegsjahre an der Alster. Traurig schaute sie in den dämmerigen Abend, während feiner Regen ihr kalt in den Kragen kroch. Wolfgang hatte sie erneut gebeten, vor seiner Abreise ein einziges Mal mit ihm zu schlafen, und sie war spontan errötet. Über diese Dinge sprach man nicht. Aber sie wagte auch nicht, diesen Augenblick der Nähe zu zerstören, darum schwieg sie und sah zu Boden. Er griff nach ihrer Hand, zog ihr den groben Wollhandschuh aus und begann nacheinander an ihren Fingern zu saugen, bis sie lachend um Gnade bat. Laura erinnerte sich auch an ein Geschenk, das er ihr als Andenken um den Hals gelegt hatte.
Nun, in ihrer New Yorker Wohnung, griff Laura sich ebenfalls an den Hals. Einen Moment lang war sie verwirrt, während Wolfgang ihr fürsorglich den Mantel abnahm. Dann fiel es ihr wieder ein. Der Anhänger an der Kette war
ein winzig kleiner Ring mit zwei ineinander verschränkten Händen, ein Liebespfand. Laura errötete, während Wolfgang sich vor ihr hinkniete, um ihr die hohen Schuhe auszuziehen. Sie erinnerte sich, wie sehr sie es in ihrem letzten Leben gemocht hatte, wenn er mit ihren Füßen spielte. Auch jetzt nahm er ihre kalten Füße nacheinander in seine Hand und wärmte sie mit seinem Atem. Zusammen stiegen sie vorsichtig über die drei miauenden Kätzchen in die Küche. Dort zog er ihr langsam erst den einen Handschuh, dann den anderen aus. Sie waren aus feinem dunkelgrünem Leder, ein Geschenk von Janis zu ihrem einundzwanzigsten Geburtstag vor wenigen Wochen. Wolfgangs Stimme klang rau vor Zärtlichkeit, als er sie daran erinnerte, dass sie ihm etwas versprochen hatte,
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