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Schneegeflüster

Titel: Schneegeflüster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind , Rebecca Fischer , Steffi von Wolff , Andrea Vanoni
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Lametta im Haar und auf den Kleidern. Der Boden schien zu schwanken, wenn die rot und grün leuchtenden Lichterketten schaukelten.
    Sie trank ihre Cocktails heute mit Alkohol, trotz der Warnungen auf den Beipackzetteln ihrer Medikamente. Granatapfelsaft schmeckte noch besser, wenn man ihn mit Wodka mischte. Das flaue Gefühl in ihrem Magen war einem Flirren gewichen, das stärker wurde, wenn Carl sie berührte oder auch nur anblickte. Den Eröffnungswalzer hatten sie abbrechen müssen, weil Sarah von einem Hustenanfall gepackt worden war, aber nun hatten sie eine dunkle Ecke im Festsaal gefunden, wo sie langsam und eng umschlungen tanzten. Carl fuhr immer wieder mit der Zungenspitze über ihre Lippen. Seit Stunden, so schien es Sarah, küssten sie sich. Doch immer, wenn sie seinen Mund mit ihrer Zunge erkunden wollte, wich er zurück und vergrub sein Gesicht in ihrem Nacken. Jeden Millimeter der verletzlichen Haut dort liebkoste er mit solcher Zärtlichkeit, bis es Sarah kaum mehr aushalten konnte. Bei der Vorstellung, was Carls Hände und seine Zunge auf ihrer nackten Haut auslösen könnten, schlug ihr Herz schneller.

    »Gehen wir auf mein Zimmer?«
    Sie hatte sehnsüchtig auf die Frage gewartet. Doch als sie jetzt Carls hungrige, heisere Stimme hörte, lief ihr ein Schauder über den Rücken. Sie würden sich auf dem großen Bett lieben, das Carl aus seiner Heimat mitgebracht hatte. Für ihn war es das erste Mal seit langer Zeit, das verriet ihr sein drängender Körper. Für Sarah würde es das letzte Mal sein.
    Sie wollte Ja sagen, Ja, liebe mich , aber sie konnte nur stumm nicken. Doch Carl verstand sie auch ohne Worte.
     
    Sieben Päckchen mit Schlaftabletten hatte Carl in Sarahs Reisetasche entdeckt, während sie sich für den Winterball umgezogen hatte. Und einen Brief. Lungenkrebs im fortgeschrittenen Stadium und unheilbar stand da. Die Worte hatten ihm seine Entscheidung leicht gemacht.
    Sarah hatte sich ihm fast ohne Widerstand hingegeben. Kurz hatte sie vor Schreck aufgeschrien, als sich seine Reißzähne durch ihre Haut bohrten. Nun waren ihre Züge so entspannt und friedlich, als wäre sie gerade eingeschlafen. Zwei tiefe Bisswunden leuchteten an ihrem bleichen Hals. Carl strich ihr eine Strähne aus der Stirn, er küsste ihre Lippen, die noch warm waren. Er hoffte inständig, dass Sarah ihn noch küssen wollte, wenn ihre Lippen so kalt waren wie die seinen.
    Als er die Ader an seinem Arm aufschlitzte, spritzte das Blut in weitem Bogen auf das Leintuch, und er führte sein Handgelenk rasch an Sarahs Mund. Es dauerte nur wenige Momente, bis sich ihre Lippen öffneten und sie begann, sein untotes Blut zu schlucken. Es war dünn, aber es hatte die Macht, Tote zu wecken.

    Draußen läuteten Kirchenglocken. Eine gute Tat muss belohnt werden , hatte Sarah gesagt. Carl strich über die Wunden an ihrem Hals, die schon fast verheilt waren. In der Dunkelheit vor dem Fenster wirbelten Schneeflocken. Elfmal schlugen die Glocken, dann ein zwölftes und letztes Mal. Mitternacht.
    Sarah schlug die Augen auf.
    »Carl …« Ihre Stimme war genauso klar und dunkel, wie sie vorher geklungen hatte. Fast meinte er, den Duft süßer Aprikosen zu riechen, aber er musste sich täuschen, denn das war ihr menschlicher Geruch gewesen. Und Sarah war kein Mensch mehr.
    Sie berührte den Schnitt an seinem Handgelenk, der sich vor ihren Augen schloss. »Wer bist du?«
    Carl wollte sie küssen, er wollte sie in die Arme nehmen, er wollte sie endlich lieben. Doch er begnügte sich damit, sich neben ihr auf dem Bett auszustrecken, so nah bei ihr, dass sich ihre Körper berührten. Dann begann er zu erzählen.

SUSANNE LEINEMANN
    Nie wiederSchwiegermutter
    Aufgeregt riss Luisa das Geschenkpapier auf. Es war ein besonders hübsches Papier, bedruckt mit nostalgischen Weihnachtsmännern, doch dafür hatte die Fünfjährige kein Auge. »Langsam, langsam«, mahnte Natalie, denn sie wusste, wie empfindlich das Geschenk war, das ihre Tochter aus der schönen Hülle zu zerren versuchte. Sehr groß und sperrig stand es auf dem Tisch. »Was mag das wohl sein?«, scherzte Paul, aber natürlich konnte man auf den ersten Blick ahnen, was es war: ein Puppenhaus. Nicht irgendeines von der Stange, nein, es war Natalies altes Puppenhaus in neuem Glanz. Liebevoll hatte sie für ihre Tochter jedes Zimmer renoviert, und jetzt sah alles wieder frisch und wie neu aus. Natalie hatte sogar die kleinen Türen ausgehängt und hell gestrichen, die

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