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Schneegeflüster

Titel: Schneegeflüster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind , Rebecca Fischer , Steffi von Wolff , Andrea Vanoni
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besonderes, Natalies eigenes altes Puppenhaus. So viel Mühe, so viele Ideen hatte sie hineingesteckt. So viel Liebe.
    Sie spürte, wie Wut in ihr aufstieg. Viel zu oft hatte Renate sie schon brüskiert, sie vorgeführt, sie vor anderen bloßgestellt: »Und das ist, nun ja, meine Schwiegertochter.« So hatte sie Natalie mehr als einmal vorgestellt. Natalie hatte es stets geschluckt und sich erst hinterher, wenn sie mit Paul allein war, darüber aufgeregt. Immer hatte sie Außenstehenden gegenüber betont, Renate sei zwar eine schwierige Frau, aber so sei das eben mit sehr klugen Menschen. Luisa habe doch Glück, eine so berühmte Oma zu haben. Außerdem war das Verhältnis zwischen Paul und seiner Mutter sehr eng, darum hatte Natalie jede Konfrontation vermieden. Aber diesmal war Renate zu weit gegangen.
    »Was tust du da! Du wusstest genau, sie bekommt das Puppenhaus von uns, und du schenkst ihr ein zweites! Noch dazu so ein billiges Ding von der Stange«, zischte Natalie ihre Schwiegermutter an.
    Die zuckte entschuldigend mit den Schultern. »Paul hatte doch von einem Puppenhaus gesprochen, als wir aus
Taschkent miteinander telefoniert haben. Ich dachte …«, verteidigte sie sich lahm.
    »Mutter, ich habe dir erzählt, dass Natalie ihr ein Puppenhaus schenkt.« Paul schaute seine Mutter ein wenig verärgert an. Aber nur ein ganz klein wenig.
    »Dann habe ich das halt falsch verstanden. Die Verbindung war wirklich schlecht. Ist doch nicht tragisch«, sagte nun Renate trotzig.
    Paul schaute betreten nach unten und versuchte, den Blickkontakt mit seiner Frau zu vermeiden. Na klar, wie immer, dachte Natalie wütend und enttäuscht. Sobald es um seine Mutter geht, lässt er mich hängen.
    Luisa fing an, am Pappkarton zu reißen. »Ich will das jetzt aufbauen. Jetzt!«
    »Luisa, warte einen Moment. Wir sind doch noch mitten in der Bescherung«, versuchte Paul seine Tochter zu bremsen.
    »Ich will, ich will, ich will«, skandierte Luisa.
    »Lass sie doch ihr Geschenk aufbauen«, meldete sich Renate zu Wort.
    Diese Worte rissen Natalie aus ihrer Erstarrung: Lass sie doch! Ihr Geschenk! Was nahm sich diese Kuh heraus! Wer war sie denn? Die Oma, mehr nicht. Spielte sich hier auf, kaufte sich mit billigen Vollplastik-Tricks ins Herz ihrer Tochter ein. Die umarmte sie glücklich, und ihre Plastikoma hatte nichts, nichts, nichts dafür getan. Sie verdiente diese Umarmung nicht. Auf dem Flughafen hatte sie sich im Vorbeigehen dieses billige Plastikdrecksding gegriffen und bei vollem Bewusstsein ihre, Natalies, Bescherung kaputt gemacht. Das ging zu weit. Damit durfte sie nicht durchkommen. Der würde sie es zeigen!

    »Das Playmobil-Puppenhaus geht zurück«, sagte Natalie schneidend in die Stille hinein. »Luisa hat schon ein Puppenhaus.«
    Renate starrte sie entgeistert an. Vorwurfsvoll. Sie schaute Natalie ständig vorwurfsvoll an - als wäre alles, was sie tat, ungenügend. Wie sehr habe ich mich anfangs in ihr getäuscht, dachte Natalie. Nach dem ersten Treffen hatte sie ihren Freundinnen noch stolz von ihrer tollen Schwiegermutter in spe erzählt; die sei jemand Besonderes, so ganz anders als ihre eigene Mutter. »Ein Vorbild für Frauen.«
    Wie blind ich war, dachte Natalie jetzt. Renate war kein Vorbild, sie war stutenbissig. Eine tolle Forscherin, o ja - ihr »Matriarchat der Nuyat in Indien« war eine bahnbrechende Arbeit gewesen, in feministischen Kreisen geradezu exegetisch gelesen. So eine, hatte Natalie anfangs gedacht, ist keine Schwiegermutter. Die ist eine Freundin.
    Von der Freundin hatte sie allerdings nie viel gespürt, von der Schwiegermutter umso mehr. Renate war - Natalie gestand es sich zum ersten Mal ein, mit Ingrimm und einem gewissen Genuss - ein Drache.
    »Dann hat Luisa eben zwei Puppenhäuser«, lenkte Paul ein. »Das ist doch nicht schlimm. Sie kann ja das Playmobil-Puppenhaus bei meiner Mutter lassen. Nicht wahr, Luisa, dann kannst du hier bei Oma damit spielen.«
    »Ich will aber nicht das Playmobil-Puppenhaus hier lassen, wir sind doch nie hier. Ich will das zu Hause haben. Soll doch das andere blöde Puppenhaus hier bleiben«, rief Luisa erregt aus.
    »Dein Puppenhaus, Natalie, ist halt nicht kindgerecht«, mischte sich jetzt Renate ein.
    »Nicht kindgerecht?«, jaulte Natalie auf.

    »Nicht mehr. Die Kinder heute sind anders, die wollen etwas Modernes. Das sehe ich auf der ganzen Welt. Kinder wollen nicht so einen alten Kram, der schon benutzt wurde. Komische Holzmöbel, alte verschlissene

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