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Schneegestöber (German Edition)

Schneegestöber (German Edition)

Titel: Schneegestöber (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophia Farago
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der ihnen auf der Suche nach Miss Westbourne behilflich war. Mit einer Kerze in der Hand stand sie auf den Zehenspitzen vor der Wandverkleidung und betastete vorsichtig die geschnitzten Verzierungen. In alten Häusern gab es oft geheime Verstecke hinter Holzverschalungen. Als sie leise Schritte vernahm, die sich zielstrebig der offenen Tür näherten, fuhr sie herum und wartete mit klopfendem Herzen, wer sich näherte. Als Seine Lordschaft im Türrahmen erschien, atmete sie erleichtert auf: »Ach, du bist’s. Hast du mich erschreckt. Ich war nahe daran zu glauben, hier gäbe es wirklich ein Gespenst, das mich verfolgt. Mußtest du dich so anschleichen?«
    »Ich schlich nicht, ich ging«, berichtigte Seine Lordschaft, beleidigt darüber, daß sie sich nicht mehr freute, ihn zu sehen. »Was immer du hier auch tust, laß dich nicht davon abhalten. Ich kann ja wieder gehen, wenn ich dich störe.« Diese Worte, in lautem Tonfall gesprochen, erregten Mary Anns Mißvergnügen. »Wenn sich deine Lady Silvie hier irgendwo aufhält, dann hast du sie durch dein lautes Sprechen auf uns aufmerksam gemacht«, erklärte sie ungehalten.
    St. James war verstimmt. Er hatte endgültig genug davon, durch kalte Räume zu schleichen, um Silvie zu suchen. Er wollte sich nicht länger verstecken und verstellen. Mary Anns Vorwürfe kamen ihm daher gerade recht: »Ich habe nicht die geringste Lust, mir deine ungerechtfertigten Anschuldigungen anzuhören«, fuhr er sie an. »Ich gehe in den Salon zurück. Dort sind Menschen, die meine Gegenwart mehr zu schätzen wissen.«
    Mary Ann drehte sich demonstrativ wieder der Wandvertäfelung zu: »Bitte sehr, laß dich nicht aufhalten«, erklärte sie bereitwillig.
    Das war St. James nun auch wieder nicht recht: »Was soll denn das schon wieder?« erkundigte er sich ungehalten. »Gerade noch warst du wie eine Furie, jetzt gibst du vor, die Ruhe selbst zu sein. Ich hasse launenhafte Frauen. Und überhaupt«, er ließ sie nicht zu Wort kommen, sondern ergriff sie energisch am Ärmel, »ich wünsche, daß du ebenfalls in den Salon zurückkehrst. Du wirst dich zu uns setzen und mit uns den Tee einnehmen. Die Aldwins fragen sich sicher bereits, warum du sie nicht mit mehr Freundlichkeit behandelst.«
    Mary Ann lachte bitter auf: »Du meinst, ich soll zurückkehren, um zuzusehen, wie du dich wegen Paulina Aldwin zum Narren machst? Nein, vielen Dank. Ich ziehe diese kalten Räume dem dummen Geschwätz im Salon vor.«
    Der Griff von Mylords Hand um Mary Anns Arm verstärkte sich. »Würdest du wohl deine Worte sorgfältiger wählen, Miss. Ein Tamworth macht sich wegen nichts und niemandem zum Narren, habe ich mich klar ausgedrückt? Und überdies«, sein Gesicht zeigte nun einen hochmütigen Ausdruck, »es steht dir als meinem Dienstboten nicht zu, mein Benehmen zu kritisieren.« Sein Blick war nicht dazu angetan, Mary Ann in Angst und Schrecken zu versetzen. Im Gegenteil, er versetzte sie zunehmend in Wut: »Dienstbote?« rief sie aus. »Hast du mich wirklich deinen Dienstboten genannt? Dann darf ich dich vielleicht daran erinnern, daß ich nicht dein Dienstbote bin.«
    Nun war es an Seiner Lordschaft, sich über den lauten Ton seines Gegenübers zu empören: »Würdest du wohl deine Zunge im Zaum halten«, forderte er ungehalten. »Stell dir vor, jemand würde dich hören. In diesem Haus giltst du als meine Schwester. Und ich möchte, daß das so bleibt, damit es uns erspart bleibt, noch weitere peinliche Erklärungen abgeben zu müssen. Aber dennoch«, er flüsterte beinahe, »aber dennoch bist du mein Dienstbote, vergiß das nicht.«
    »Ich bin nicht dein Dienstbote«, wiederholte sie hartnäckig. »Ich bin eine freie Frau, die von dir einen Auftrag angenommen hat. Ich habe diesen Auftrag freiwillig angenommen und kann ihn jederzeit wieder zurückgeben.«
    »Sehr gut«, erwiderte Seine Lordschaft spöttisch. »Welch beeindrukkende Rede. Bitte, dann gib doch den Auftrag zurück, gib mir die zweihundert Pfund wieder und verschwinde, wohin du willst.«
    Am Abend, als er längst Ruhe gefunden und sich in sein Zimmer zurückgezogen hatte, da dachte er über den Wortwechsel in dem kalten unbewohnten Kinderzimmer nach. Er konnte es nicht glauben, daß er in diesem Tonfall, in dieser rüden Ausdrucksweise mit Mary Ann gesprochen hatte. Er kannte sich als besonnenen, wohlüberlegten Mann. Sicher, seine Zunge war scharf, seine Wortwahl oft schneidend, und doch hatte er noch nie in einem derart verletzenden Tonfall

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