Schneegestöber (German Edition)
Zeigefinger vorgebrachten Ausspruch: »Jage den Spötter hinaus, so geht auch der Zank, und Hadern und Schmähen hört auf.« Mrs. Aldwin konnte ihm da nur zustimmen.
Sie war eine glühende Anhängerin des Königshauses, seitdem sie einmal bei Königin Charlotte zum Tee geladen war. Natürlich konnte sie Mr. Finch nur zustimmen. Wenn sie auch, wie sie ihm unter dem Siegel der Verschwiegenheit gestand, wußte, daß die liebe Königin sich oft sehr große Sorgen um ihren Ältesten, den Prinzregenten, machte. Warum konnte dieser auch nicht die unselige Liason mit der Katholikin Fitzherbert endlich beenden, um sich nach einer passenden Braut umzusehen? Und dann der prunkvolle Palast in Brighton. Eine völlig unnötige Geldausgabe, die jedem sparsamen Menschen, wie es auch die liebe Königin war, zutiefst mißfallen mußte. Mrs. Aldwin konnte sich über dieses Thema ereifern, und es klang so, als würde sie mit Ihrer Majestät jeden Tag über das tadelnswerte Verhalten ihres ältesten Sohnes George plaudern.
Paulina hörte ihr mit großen Ohren zu. Die gute Mama hatte ja so recht. Der Karikaturist allerdings auch, wie sie insgeheim dachte. Sie hatte den Prinzregenten einmal anläßlich einer Parade in Brighton leibhaftig gesehen. Er war auf seinem Pferd gesessen und trug eine viel zu enge rote Uniform, die über und über mit Epauletten und Orden geschmückt war. Er war ihr tatsächlich als der fette unattraktiveMann erschienen, den Hogarth in ihm sah. Natürlich würde sie sich hüten, diese Worte laut auszusprechen. Der Prinzregent mußte in seiner Jugend ein gutaussehender, liebenswerter junger Mann gewesen sein, nicht umsonst trug er den Kosenamen Prinz Florizel. Von den Damen der Gesellschaft wurde erwartet, daß sie auch heute noch jenen jungen anbetungswürdigen Prinzen in ihm sahen, der er längst nicht mehr war.
Mary Ann und St. James gaben vor, der Unterhaltung zwischen Mrs. Aldwin und dem Kaplan zu lauschen. Sie selbst sprachen wenig. Obwohl sie sich gegenübersaßen, vermieden sie geflissentlich, sich in die Augen zu sehen. Einmal kreuzten sich unbeabsichtigt ihre Blicke. Beide zuckten zurück, als hätten sie sich verbrannt.
Auch in der Küche im unteren Geschoß des Hauses setzte man sich nach vollbrachter Arbeit zum Abendessen nieder. Kitty hatte sich inzwischen daran gewöhnt, daß die Hierarchie bei der Dienerschaft mindestens ebenso streng eingehalten wurde wie in den oberen Rängen der Gesellschaft. Mr. Shedwell, der würdige Butler, präsidierte den Tisch mit strenger Miene. Zu seiner Rechten thronte Mrs. Bobington, der in ihrer Funktion als Haushälterin dieser Ehrenplatz zukam. Kitty durfte zu seiner Linken Platz nehmen, daneben Al als ihr Tischherr. Der schweigsame, großgewachsene Kammerdiener von Mr. Aldwin saß Kitty gegenüber. Daneben die ältliche Miss Macclesfield, die Kammerfrau von Mylady. Daran anschließend hatten Betty und Frank Platz genommen. Ganz unten am Tisch stand der Stuhl von Molly, der Spülmagd. Während des Essens durfte nicht gesprochen werden, darauf legte Mr. Shedwell großen Wert. Doch sobald der letzte Teller abgedeckt war, stand der Butler auf, um sich in sein Zimmer zurückzuziehen und in Ruhe seine Pfeife zu rauchen. Mrs. Bobington holte dann meist den Korb mit der Flickwäsche und begann damit, Leintücher auszubessern oder die Vorhänge der Dienerzimmer mit neuen Borten zu versehen, um vorhandene Löcher zuzudecken. Frank machte noch einen letzten Rundgang durch das Haus, um Holz in den Kaminen nachzulegen. Betty ging mit ihm, um die Betten aufzuschlagen und die Nachthemden und Schlafmützen bereitzulegen. Es blieb der blassen stillen Molly überlassen, das Geschirrabzuspülen und wieder in den Kommoden und Kredenzen zu verstauen. Da Kitty nichts anderes zu tun hatte, während Mary Ann sich noch im Salon aufhielt, hatte sie sich angewöhnt, dem Mädchen beim Abtrocknen zu helfen.
An diesem Abend saß Al neben ihr, vor sich eine bauchige Tasse dampfenden heißen Tees, den Mrs. Bobington eben vor ihn hingestellt hatte. Kitty warf ihm einen besorgten Blick zu. Ihr Diener machte ihr Sorgen. Er war unnatürlich blaß seit einigen Tagen. Seitdem er sich den Bart abrasiert hatte, kam dies besonders zur Geltung. Tiefe dunkle Augenringe zeigten deutlich, daß Al krank war. Ebenso die Hustenanfälle, die ihn in immer kürzer werdenden Abständen am ganzen Leibe erschütterten. Und auch der Schnupfen schien immer stärker zu werden. Stets kramte er in einer seiner
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