Schneegestöber (German Edition)
Freund einsprach, dieser hatte nur ein spöttisches Lächeln für ihn übrig. Er wisse genau, was er tue, hatte Al erklärt. Und daß er doch mit Mary Ann sprechen solle, wenn er nähere Auskünfte über Kittys Herkunft erhalten wolle. Was interessierte ihn Kittys Herkunft! Und mit Mary Ann wollte er lieber nicht reden. Nicht nach dem, was gestern vorgefallen war. Er hätte gute Lust, mit Viscount Bakerfield ein ernstes Gespräch zu führen. Ein Machtwort des Hausherrn hätte genügt, um den Pfarrer von seinem Vorhaben abzubringen. Doch Lornerly hatte sich jede Einmischung strikt verbeten. Zudem hieße, Bakerfield über die wahre Identität von Al Brown aufzuklären, auch seine eigene Identität preisgeben zu müssen. Allein dieser Gedanke ließ St. James erschaudern. Nein, da war es ihm schon lieber zu schweigen. Lornerly mußte selbst wissen, was er tat. Er war alt genug.
Eben in diesem Augenblick wurde der Hausherr von Mr. Finch wortreich über die skandalösen Vorkommnisse in Kenntnis gesetzt, die sich unter seinem Dach abspielten. Als der Geistliche geendet hatte, antwortete ihm der Viscount nicht sofort, sondern blickte starr vor sich hin und trommelte nachdenklich mit den Fingern auf die Tischplatte. »Man hat sie also in flagranti erwischt, so, so«, murmelte er. »Wie unvorsichtig von ihm. Doch eine Heirat? Nein Mr. Finch, ich denke, hier schießen Sie über das Ziel hinaus. Schicken Sie nach diesem Diener. Ich möchte mit ihm sprechen.«
Dem Geistlichen war, als könne er seinen Ohren nicht trauen. Seine Wangen liefen rot an, und seine Augen schienen noch mehr aus den Höhlen zu quellen, als dies üblicherweise der Fall war. »Aber Sir, Mylord!« rief er aus. »Die Sünde. Denken Sie doch an die Sünde. Wer sündigt, verstößt gegen Gottes Gesetz. Hier, im Haus eines Christen, Mylord, im Haus eines…«
»Es ist immer noch mein Haus, vergessen Sie das nicht, Mr. Finch. Schicken Sie den Diener her«, entgegnete der Hausherr mit strengem Tonfall. Der Kaplan war fürs erste zum Schweigen gebracht und zog mit beleidigter Miene am Glockenstrang.
»Ich möchte, daß Sie uns alleine lassen, wenn der Diener kommt«, erklärte der Hausherr. Mr. Finchs Unmut wuchs ins Unermeßliche. Und doch, als der Butler mit Al zurückkam, verließ Mr. Finch das Schlafzimmer. Seine gemurmelten Worte über Sündenfall und ewige Verdammnis ließen Al die Stirne runzeln. Als die Tür geschlossen war, verbeugte er sich: »Sie haben mich rufen lassen, Mylord?«
Der Viscount machte eine ungeduldige Handbewegung: »Kommen Sie näher, kommen Sie näher, Junge. Ich habe nicht die Absicht, mich mit Ihnen quer durch das Zimmer zu unterhalten.«
Al beeilte sich, diesem Befehl Folge zu leisten. Nun würde er also nach St. James eine weitere Moralpredigt über sich ergehen lassen müssen. Wie hatte er diese Verkleidung satt! Es war höchste Zeit, daß er wieder nach Hause kam.
»Sie sind also Al Brown.« Diese Feststellung klang eher wie eine Frage. Der prüfende Blick Seiner Lordschaft glitt über die Gestalt des Dieners. Al, der nicht wußte, worauf dieser hinauswollte, nickte.
»Man hat Sie im Zimmer eines der Madchen vorgefunden, Al Brown, so sagte man mir. Man sagte mir, ihr beide hättet euch der Sünde hingegeben. Honi soit qui mal y pense. «
Al runzelte die Stirn: »Ich verstehe Sie nicht, Sir.«
Ein kleines Lächeln trat in die Mundwinkel Seiner Lordschaft. »Ich denke, wir verstehen uns ganz gut, Al Brown«, sagte er lächelnd. »Doch einerlei. Wollen Sie wissen, was ich über diesen Vorfall denke?«
Wahrlich ein seltsames Gespräch, das Seine Lordschaft mit einem Diener führt, dachte Al. »Aber gewiß, Sir«, antwortete er laut.
»Ich denke, Sie haben sich nur im Zimmer des Mädchens aufgehalten, um Holz im Kamin nachzulegen. Habe ich nicht recht, Bursche? Das war der Grund, weswegen man dich in diesem Raum antraf.«
Als Verwunderung stieg mit jedem Wort, das der Hausherr äußerte. Irrte er sich, oder wollte ihm dieser eine goldene Brücke bauen? Und vor einer Heirat bewahren, zu der er gezwungen werden sollte und die er vielleicht gar nicht eingehen wollte? Al wußte nicht, was er von diesem Verhalten denken sollte. Er wußte allerdings genau, daß er den Strohhalm, der ihm seine Freiheit erhalten sollte, nicht ergreifen würde. Es war sein ernsthafter Wunsch, Kitty Stapenhill zu seinerFrau zu machen, je eher, je lieber. Und daher beschloß er, in die Rolle des beschränkten Dieners zurückzufallen.
»Ach nein,
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