Schneegestöber (German Edition)
durch die dicken Brillengläser strafend zu ihm hinab. »An Frauenschönheit sind schon viele zugrunde gegangen«, erklärte er und hob belehrend den Zeigefinger. »Hättest du die Bibel gelesen, dann wüßtest du, wovon ich rede. Doch bei euch Dienerpack…«
»Ich habe die Bibel sehr wohl gelesen, Sir.« Al erhob sich von den Knien, und seine Stimme klang scharf: »Und ich weiß sie auch zu zitieren. Wie gefällt Ihnen dieses Zitat, Sir: Wenn sich jemand für fromm hält, aber seine Zunge nicht im Zaum halten kann, ist seine Frömmigkeit wertlos.«
Der Geistliche schnappte nach Luft, und seine Wangen verfärbten sich in dunkles Violett: »Das ist eine Frechheit, die ich mir nicht gefallen lassen werde. Das ist nie und nimmer ein Zitat aus der Heiligen Schrift…«
»Doch, ist es, Mr. Finch. Aus dem Brief des Jakobus. Das sollten Sie doch eigentlich wissen.« Als Tonfall hatte an Schärfe verloren, als er diese Worte aussprach. Er hatte nicht die Absicht, den Geistlichen weiter zu reizen. Was für einen Gewinn könnte er auch aus einem Streit mit diesem ziehend Mit großen Schritten ging er zu dem Tisch hinüber, auf dem das Kirchenbuch lag. »Sie müssen unsere Trauung darin festhalten, Mr. Finch, nicht wahr?« erkundigte er sich und schlug die Seite auf, auf der die letzte Eintragung geschrieben war. Die Tinte, mit der diese Eintragung vorgenommen war, war bereits verblaßt. Die letzte Eheschließung, die in der Kapelle stattgefunden hatte, war die Trauung des Viscounts selbst mit Miss Agathe Glitchfield gewesen. Mr. Finch war, so schnell er es vermochte, an seiner Seite. »Lassen Sie das Buch los!« forderte er und machte Anstalten, Al den Lederband zu entreißen. »Ich muß eure Namen darin eintragen. Damit alles seine Ordnung hat. Doch das Schreiben fällt mir schwer. Meine Augen sind wieder schlechter geworden. Ich habe Mrs. Aldwin gebeten, die Eintragung für mich vorzunehmen. Sie wird in wenigen Minuten hier sein. Am besten, du bleibst hier und sagst ihr eure Namen selbst.«
Al zuckte zusammen. Nun würde das unwürdige Versteckspiel endgültig ansTageslicht kommen. Er verzog unwillig die Lippen, wenn er an das aufgeregte Geschnatter dachte, in das Mrs. Aldwin sicherlich ausbrechen würde, wenn sie erfuhr, wer er und Kitty wirklich waren. Finden die unliebsamen Ereignisse nie ein Ende? Sein Blick fiel aus dem Fenster hinter dem Schreibtisch. Es hatte aufgehört zu schneien. Er hatte gute Lust, die Pferde vor Kittys Kutsche zu spannen und noch heute abzureisen. Und doch, es war noch zu riskant. Was war, wenn sie im Schnee steckenblieben? Die Straße führte meilenweit durch unbewohntes Gebiet. Aufseufzend griff er nach dem Federkiel und tauchte ihn in das Tintenfaß. »Es ist nicht notwendig, Mrs. Aldwin zu bemühen«, erklärte er in einem Tonfall, der keinen Widerspruch zuließ. »Ich selbst werde die Namen ins Kirchenbuch eintragen. Sie brauchen sich dann nur die Vornamen zu merken, Mr. Finch. Meine Braut heißt Charlotta. Ich selbst Alexander.«
Mr. Finch nickte, baß erstaunt über den Tonfall, den der Diener ihm gegenüber anschlug. Al nahm auf dem schweren Ledersessel hinter dem Schreibtisch Platz und trug mit raschen Bewegungen ihrer beider Namen in das in Leder gebundene Buch ein. Dann streute er Sand auf die Schrift, wartete kaum, bis sie getrocknet war, und klappte das Buch zu. »Hier, Mr. Finch.« Al erhob sich. »Am besten, Sie bringen das Buch in die Kirche zurück und sperren es gut ein. Es wäre doch unverantwortlich, wenn es verlorenginge.« Ehe der Pfarrernoch etwas erwidern konnte, griff er nach dem eisernen Korb, verbeugte sich und verließ den Raum.
Mary Ann ging unterdessen unschlüssig in ihrem Zimmer auf und ab. Kitty und Al hatten es ihr überlassen, St. James die Wahrheit zu enthüllen. Die widersprüchlichsten Gefühle kämpften in ihrer Brust. Die Vernunft sagte ihr, daß sie ohne zu zögern und ohne weiteren Aufschub vor den Earl hintreten mußte, um ihm zu sagen, daß es sein Mündel war, das sich da eben zu vermählen gedachte. Was konnte er ihnen schon anhaben? Er konnte toben, er konnte schneidende Bemerkungen machen. Und doch würde er der Verehelichung seiner Schutzbefohlenen mit dem zweiten Sohn eines Herzogs seine Zustimmung nicht verwehren. Welche Überlegungen hielten sie davon ab, diesen Schritt zu tun? Sicher war er wütend darüber, daß sie ihmnicht schon längst gesagt hatte, wer sie wirklich waren. Am Ende gab er ihr die Schuld, daß Kitty in die Verlegenheit
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