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Schneegestöber (German Edition)

Schneegestöber (German Edition)

Titel: Schneegestöber (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophia Farago
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kam, so überstürzt heiraten zu müssen. Sie sah ihn förmlich vor sich, wie er arrogant die Augenbrauen hob, die Lippen zu einem Strich zusammengepreßt. Wenn sie wenigstens am Vortag nicht gestritten hätten… einerlei! Mary Ann straffte energisch die Schultern. St. James hatte ein Anrecht darauf, die Wahrheit zu erfahren. Je schneller sie das unangenehme Gespräch hinter sich brachte, je besser. Sie warf einen raschen Blick in den Spiegel über dem Waschtisch, schob eine vorwitzige Locke zurecht, die sich aus ihrer strengen Frisur gelöst hatte, und zupfte die Spitzen des Kragens auseinander. Nun denn, Mylord, Sie können sich auf eine Überraschung gefaßt machen.
    Als Mary Ann das Erdgeschoß betrat, stieß sie fast mit Al zusammen, der, mit dem leeren Brennholzkorb in der Hand, eben aus der Tür zum Wohnzimmer trat.
    »Ihr Diener, Miss Rivingston«, grüßte er mit einem Augenzwinkern und hielt ihr bereitwillig die Tür auf. »Nur hinein in die gute Stube.«
    Mary Ann wollte eben mit einem freundlichen Kopfnicken an ihm vorüber, als sie es sich anders überlegte: »Ich suche meinen Bruder.« Sie wandte sich wieder ihrem vermeintlichen Diener zu. »Wissen Sie, Wo er sich aufhält, Al?«
    Mr. Finch war nähergekommen und drückte sich mit gewichtiger Miene an Mary Ann vorbei, die im Türrahmen stand: »Sie entschuldigen, Miss.« Er deutete auf den dicken braunen Lederband, den er unter den rechten Arm gepreßt hatte. »Ich muß dringend das Kirchenbuch in die Kapelle zurücktragen. Es darf keinesfalls in falsche Hände geraten…«
    »Tun Sie das, Kaplan«, antwortete Mary Ann zerstreut. »Nun, Al? Mein Bruder ist nicht im Wohnzimmer, wie ich sehe.«
    Lornerly blickte dem Geistlichen nach und wartete mit seiner Antwort, bis dieser außer Hörweite war. »St. James ist oben auf seinem Zimmer«, erklärte er schließlich mit gedämpfter Stimme. »Er ist fassungslos darüber, daß ich dabei bin, eine Mesalliance einzugehen, und er dies nicht verhindern kann. Ich denke, wir sollten ihn nicht länger im ungewissen lassen.«
    »Das finde ich auch. Und darum bin ich heruntergekommen, Al«, bestätigte Mary Ann. »Am besten, ich setze mich ins Wohnzimmer und warte auf ihn. Er kann ja schließlich nicht den ganzen Tag auf seinem Zimmer bleiben.«
    Doch Mylord konnte. Er hatte nicht die geringste Lust, an den Gesprächen teilzunehmen, die ihn im Salon erwarteten. Mrs. Aldwins lautstarke Entrüstung hatte ihm bereits beim Frühstück den Appetit verdorben. Und Kaplan Finch sollte andere Ohren mit seinen Zitaten belästigen. Und dann war da noch Mary Ann. Sicher wartete sie auf eine Erklärung darüber, warum er sie geküßt hatte. Doch wie hätte er ihr das erklären sollen, wenn er es selbst nicht wußte? Nein, da war es schon besser, allein vor dem Kamin zu sitzen und im Morning Chronicle zu blättern, über den sich Mr. Finch erst kürzlich wortgewaltig alteriert hatte. Er ließ sich von Frank einige Sandwiches zum Lunch aufs Zimmer bringen und verließ es erst wieder, als es Zeit war, in der Kapelle zu erscheinen. Lorherly hatte ihn gebeten, die Rolle des Brautführers und seines Trauzeugen zu übernehmen. Er hatte nicht gewußt, wie er hätte ablehnen können. Obwohl er, weiß Gott, viel darum gegeben hätte, mit dem unseligen Ereignis nichts zu tun zu haben.
    Und dann war es soweit. Erhobenen Hauptes schritt die Braut am Arm ihres Vormundes in die Kapelle. Sie trug ein schlichtes hellblaues Kleid, das sie sich einmal in Bath hatte schneidern lassen, als ihr Mrs. Clifford erlaubte, ein Konzert in den Assembly Rooms zu besuchen. Der Schleier, den ihr Mrs. Bobington ins Haar gesteckt hatte, umrahmte ihr hübsches, vor Aufregung gerötetes Gesicht. Mit strahlendem Lächeln blickte sie Al entgegen, der vor dem Altar auf sie wartete. Die Kirchenbank in der ersten Reihe war schon vor Jahren von einem Schreiner gekürzt worden, um dem Rollstuhl des Viscounts Platz zu machen. Dort saß er nun und beobachtete mit unergründlichem Lächeln das Geschehen. Mary Ann, die als Kittys Trauzeugin fungieren sollte, saß auf der harten Bank und wagte kaum, zu St. James hinüberzublicken. Wenn sie doch nur die Gelegenheit gehabt hätte, ihm die Wahrheit zu enthüllen. Nun war es zu spät. Wenn nur die Trauungszeremonie schon vorüber wäre.
    Mr. Finch dachte nicht daran, sich zu beeilen. Mit langsamen, mahnenden Worten sprach er die Trauungsformel, zitierte nach jedem seiner Sätze die Bibel und sprach in einem Tonfall, der eher zu

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