Schneegestöber (German Edition)
bereits zurückgeschoben worden. Dann trat sie ins Freie. Die kalte Schneeluft blies ihr entgegen und ließ sie frösteln. Sie schlug den Kragen ihres Mantels hoch und beeilte sich dann, den Spuren des Earls zu folgen. Sie führten den Weg entlang vom Haus weg bis zu der Wegbiegung, an der sie St. James zum letzten Mal gesehen hatte. Kurz darauf gabelte sich der Weg. Eine schmale Spur führte in das kleine Wäldchen, das mit seinen dick beschneiten Nadelbäumen malerisch in der Landschaft lag. Eine andere verschwand zwischen unbelaubten Fliederbüschen. St. James’ Schritte folgten eindeutig dem breiteren Weg, der in schmalen Windungen zum Meer hinabführte. Unbeirrt ging Mary Ann den Spuren Seiner Lordschaft nach.
Dieser hatte inzwischen die Hütte erreicht, deren Dach ihm vor wenigen Tagen beim Blick aus seinem Zimmerfenster aufgefallen war. Es handelte sich um eine einfache, doch solide gebaute Holzhütte. Die Fensterläden waren fest verschlossen. Auch die Vordertür war versperrt. Ein zusätzlicher Riegel war vorgeschoben. Es hatte den Anschein, als würde das Haus nur im Sommer benützt. Jetzt, da die Landschaft schneebedeckt und die Tage kalt waren, schien es einen verträumten Winterschlaf zu halten. St. James überlegte, wer die Hütte wohl benützen mochte. Zuerst hatte er gedacht, es sei das Haus eines Gärtners oder das eines Försters. Obwohl sie nicht direkt am Meer lag, konnte sie aber auch durchaus einem Fischer als Unterkunft dienen. Zu schade, daß man aufgrund der geschlossenen Fensterlädennicht ins Innere des kleinen Hauses blicken konnte. Er war tatsächlich neugierig geworden. Warum, so fragte er sich, war der Weg zur Hütte freigeschaufelt worden? Warum gab es so viele verzweigte Weggabelungen, an denen er vorübergekommen war, wenn doch keiner diesen Weg vor ihm begangen zu haben schien. Wer hatte das Freischaufeln veranlaßt? Viscount Bakerfield? Er konnte doch mit seinem Rollstuhl die Wege ohnehin nicht befahren. Die Aldwins hatten ebenfalls keinen Fuß vor die Tür gesetzt, seitdem sie auf Bakerfield-upon-Cliffs angekommen waren. Seine Lordschaft ging langsam um die Hütte herum, klopfte mit fachkundigen Fingern gegen das Holz und bewunderte die stabile Bauweise. Doch was war das? Als er seine Finger auf eines der breiteren Bretter der seitlichen Außenwand legte, gab dieses unter dem Druck seiner Hand leicht nach. Der Earl blieb stehen und stieß einen anerkennenden kleinen Pfiff aus. Er war auf einen schmalen seitlichen Eingang gestoßen, der sich von den Holzbrettern der Wand durch nichts unterschied. Hätte er nicht durch Zufall seine Hand hierhergelegt, mit bloßem Auge hätte er diesen Einlaß nie und nimmer erkannt. Ohne jeden Laut gab das Brett nach, und Seine Lordschaft steckte neugierig seinen Kopf in das Innere der Hütte. Es war stockdunkel darin. Durch den Lichtschein der offenen Tür konnte er zwei Kerzen und eine Packung Streichhölzer erkennen, die auf einer umgestürzten Holzkiste bereitlagen. Nun konnte er seine Neugierde nicht mehr bezähmen. Natürlich, die Hütte ging ihn nichts an. Und es war auch sicher nicht richtig, daß er sich wie ein Einbrecher einschlich, um das Innere zu begutachten. Und doch war es aufregend und spannend. Und es lenkte ihn für kurze Zeit von den Problemen ab, die ihn quälten.
Hatte er denn an diesem angebrochenen Nachmittag etwas Besseres vor, als eine geheimnisvolle Fischerhütte zu erkunden? Hätte er sich zu den Aldwins in den Salon setzen sollen? Sicher hatte Paulina ihre Eltern bereits davon in Kentnnis gesetzt, daß er drauf und dran gewesen war, ihr einen Heiratsantrag zu machen. Wie hatte er das nur tun können? Er wollte doch überhaupt nicht mit Paulina Aldwin verheiratet sein. Mary Ann hatte ihn dazu getrieben. Sie war schuld, daß er diese unverzeihliche Dummheit begangen hatte. Warum hatte sie ihm auch nicht die Wahrheit über ihre Identität gesagt? Sie mußtedoch gemerkt haben, daß er sie schätzte. Sie war ihm wirklich wie eine Schwester geworden in den letzten Wochen. Nein, nicht wie eine Schwester. Eher wie ein Freund. Nein, auch nicht wie ein Freund, dafür war sie zu weiblich, zu reizvoll. Nun hatte er schon zum zweiten Mal diesen seltsamen Gedanken. Aber es stimmte. Er fand Mary Ann außergewöhnlich anziehend. Also konnte sie nicht sein Freund geworden sein. Er überlegte, was denn sie ihm geworden war. Doch anscheinend gab es dafür nicht das richtige Wort. Energisch ließ er das Streichholz aufflammen und hielt
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