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Schneegestöber (German Edition)

Schneegestöber (German Edition)

Titel: Schneegestöber (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophia Farago
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der kalten Luft abzeichnete. Der Atem ging schnell, ein deutliches Schnaufen war zu vernehmen. Schon war der Bursche auf Höhe der Kutsche. Würde er sie ansprechen? Würde er sie angreifen? Mary Ann wagte nicht zu atmen. Doch der Mann beachtete sie kaum. Im Vorbeieilen hob er grüßend die Hand zur Mütze, dann war er an ihr vorüber. Mary Ann stieß geräuschvoll die Luft aus. »Angsthase«, schalt sie sich selbst. Anscheinend las sie zu viele Romane. Wie konnte sie nur einen harmlosen Wanderburschen für einen Räuber halten. Die Anspannung, die sie befallen hatte, ließ nach. Befreit lehnte sie sich gegen die Kutschenwand.
    Mit einem lauten Rumpeln gab die Kutsche jedoch plötzlich nach und rutschte ein Stück das nasse Gras der Böschung entlang. Das Kutschpferd wurde aus seiner Erstarrung gerissen. Es fing wie wild zu wiehern an und versuchte in Panik, das umgestürzte Fahrzeug hinter sich her der Stadt entgegenzuschleifen. Als es merkte, daß ihm dies nicht gelang, schlug es nach allen Richtungen aus und drohte an der Kutsche noch weit größeren Schaden anzurichten, als dies das kaputte Wagenrad getan hatte. Mit erschrockenem Aufschrei wich Mary Ann zurück. Sie hatte keine Ahnung vom Umgang mit Pferden. Es war ihr bereits beim Gedanken nicht wohl, eines dieser hohen Tiere zu besteigen, um damit auszureiten. Geschweige denn wollte sie sich dieser wildgewordenen Furie nähern, um sie zu beruhigen und Schaden am Fahrzeug zu verhindern. »He, Sie!« rief sie aus Leibeskräften dem Wanderburschen nach. »Sie müssen mir helfen! He, Sie, junger Mann!« Es hatte den Anschein, als habe der Bursche sie nicht gehört. Oder als wollte er sie nicht hören. Da rief ihn Mary Ann abermals, so laut sie konnte. Langsam wandte sich der Mann um. Als er das wild um sich schlagende Pferd sah und die Miss, die hilflos am Straßenrand stand, da beschloß er doch, kehrtzumachen, um ihr zuHilfe zu eilen. Mit raschen Schritten war er bei der Kutsche. Er ergriff die Zügel mit fester Hand und sprach mit ruhiger Stimme auf das Pferd ein. Mit einer Mischung aus Bewunderung und Erleichterung sah Mary Ann zu, wie sich das Tier beruhigte und bald wieder friedlich auf den Lehmboden starrte, als sei nichts geschehen. Sie wollte sich eben bei ihrem Retter bedanken, als das Knallen einer Peitsche die Luft durchschnitt. Sie hatte ihre ganze Aufmerksamkeit dem Burschen und dem Kutschpferd gewidmet, so daß ihr ganz entgangen war, daß sich ein älterer, untersetzter Bauer auf seinem mageren, hochbeinigen Roß genähert hatte. Der Bursche warf ihr aus tiefen blauen Augen ein Vergebung heischendes Lächeln zu: »’tschuldigen Sie, Miss«, flüsterte er ihr zu. »Ich hätt gern verhindert, daß Sie in diese Geschichte hineingezogen werden.«
    »Hier finde ich dich also, du nichtsnutziger Tagedieb!« brüllte der Bauer und drohte, die Peitsche auf den Körper des Burschen niedersausen zu lassen. Er hätte es zweifellos getan, hätte ihn nicht die Gegenwart einer Dame von Stand davon abgehalten. Wenn sie überhaupt eine Dame von Stand war. Abschätzend glitt sein Bick über das schwarze, altmodische Gefährt, über das anspruchslose Kutschpferd zurück zu der jungen Frau. Der graue, einfache Mantel und die karrierte Decke, die sie gegen alle modischen Konventionen über die Schultern gebunden hatte, ließen sie eher wie eine Dienerin erscheinen. Auch die schmale, schmucklose Haube, die die roten Locken ungenügend im Zaum hielt, wollte nicht so recht in sein Bild von einer noblen Lady passen. Seine Eliza trug da ein viel eleganteres Ding auf dem Kopf, wenn sie sonntags in die Kirche gingen. Und doch: Wie die Dame da stand und ihn mit weit aufgerissenen Augen ungeniert musterte, da hatte er doch das Gefühl, daß es sich um eine Lady handelte. Er glitt ächzend aus dem Sattel und wischte sich mit einem großen braunen Taschentuch über das gerötete Gesicht. »Ich muß mich wohl vorstellen«, sagte er, und seine Stimme klang rauh und ungeduldig. »Jack Biggar, Madam. Ich bin Bauer auf dem Gut von Lord Redbridge. Ich hoffe, der Kerl da hat Sie nicht belästigt.« Er wartete die Antwort nicht ab, sondern richtete sich mit drohender Gebärde an den Burschen, der still das Geschehen verfolgte: »Und du kommst mit mir, du Mistkerl. Und wenn ich dich an meinen Gaulanbinden muß. Dir verdresch ich heut noch anständig den Buckel, das schwör ich dir, du elendiglicher Hurensohn. Dir mach ich noch Beine.«
    »Was hat er denn angestellt?« erkundigte sich Mary

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