Schneegestöber (German Edition)
wurde er der vielen Augen gewahr, die neugierig dem Schauspiel folgten, das er und die beiden Mädchen zum Besten gaben. Es war unter seiner Würde. Er würde die beiden zwingen, den Ball zu verlassen, und wenn er sie eigenhändig an den Haaren herausziehen mußte. Und er würde dafür sorgen, daß dieses schändliche Betragen ein Nachspiel hatte.
Zum Glück war nicht notwendig, daß der Geistliche Gewalt anwendete. Auch wenn die beiden Mädchen sich nur widerwillig seiner herrischen Art fügten, so waren sie doch nur zu froh, Mrs. Nestlewoods Ballsaal verlassen zu können. Schweigend folgten sie ihm in die Halle hinaus. Arthur Nestlewood sah ihren Abgang aus einiger Entfernung. Ein zufriedenes Lächeln trat auf seine schmalen Lippen. Er dachte nicht daran einzugreifen. Was für eine glückliche Fügung, daß der steife Geistliche wider Erwarten doch noch auf dem Ball erschienen war. Er hatte schon nicht mehr mit seinem Kommen gerechnet.Sicher würde man Charlotte für ihr unerlaubtes Handeln zur Rechenschaft ziehen. Ob man sie wohl bei Wasser und Brot in ihrem Zimmer einschloßt Mr. Nestlewoods Lächeln wurde breiter. Was auch immer sich die Schulleitung an Strafe einfallen ließ, ihm konnte es nur recht sein. Er würde einige Tage verstreichen lassen und dann mit Charlotta Kontakt aufnehmen. Sicher war sie dann nur allzu bereit, der Schule zu entkommen. Sie würde seinen Antrag mit Freuden annehmen.
Kitty war in diesem Augenblick weit entfernt davon, für irgend jemanden wohlwollende Gedanken zu hegen. Sie saß eingezwängt neben Mary Ann in der engen Kutsche, die dem Pfarrer gehörte. Es war bitterkalt im Wagen. Keine heißen Ziegelsteine lagen bereit, und die Kälte kroch unbarmherzig durch die dünnen Sohlen ihrer Abendschuhe. Eine einzige Decke wurde über die Knie der Mädchen ausgebreitet. Sie war dünn und spendete kaum Wärme. Es war stockdunkel. Der Mondschein, der dem Kutscher den Weg wies, konnte das Innere des Fahrzeugs nicht erhellen. Eisblumen überzogen die Fensterscheiben. Die Frostigkeit, die zwischen den Kutscheninsassen herrschte, stand der eisig kalten Winternacht um nichts nach. Es war alles schiefgelaufen, was nur schieflaufen konnte, dachte Kitty erbittert. Der Ball war eine einzige Enttäuschung gewesen. Mrs. Nestlewood war eine vulgäre alte Frau. Dachte sie wirklich, sie würde ihr Spiel nicht durchschauen und auf die plumpen Schmeicheleien ihres widerlichen Sohnes hereinfallen? Kitty biß die Zähne zusammen. Für wie dumm hielt man sie denn? Wenn nur der faszinierende Unbekannte gekommen wäre. Dann hätte sich das Abenteuer ausgezahlt. Doch so: Sie hatte ihren guten Ruf aufs Spiel gesetzt und Mary Anns guten Ruf dazu. Reverend Westbourne war wütend. Sie hatte ihn noch nie vorher derart aufgebracht gesehen. Sollte dies vielleicht gar ein gutes Zeichen seine? Warum sollte er sich derart echauffieren, wenn ihm an Mary Ann nichts lag? Natürlich hatten sie sich seine Reaktion ganz anders ausgemalt. Aber vielleicht hatten sie dasselbe Ergebnis erzielt, und Mr. Westbourne würde doch um Mary Anns Hand anhalten. Kitty seufzte. Sie konnte nur hoffen, daß es so war.
Mary Ann kämpfte mit den widerstreitendsten Gefühlen. Natürlichwar da schlechtes Gewissen, die Sorge, die Achtung des Geistlichen für immer aufs Spiel gesetzt zu haben. Und doch regte sich auch Trotz: Was war denn so schlimm daran, wenn sie sich auch einmal amüsieren wollte? Sie war alt genug, um selbst über die Gestaltung des Lebens bestimmen zu können. Würde der Reverend ihre Beweggründe verstehen, wenn sie in Ruhe mit ihm darüber spracht Verstohlen blickte sie zur Seite. Sie konnte Mr. Westbourne neben sich nur schemenhaft erkennen. Er saß stocksteif und bemühte sich, jeder Berührung mit ihr auszuweichen. Seine Augen waren starr nach vorne gerichtet, seine Lippen verkniffen. Warum sprach er nicht mit ihr? Warum verurteilte er sie und strafte sie mit Schweigen? Sie konnte es nicht leiden, wenn sie wie ein ungezogenes Schulkind behandelt wurde. Schon gar nicht von dem Mann, der ihr besser gefiel als all die anderen, dessen Klugheit und Verstand sie immer geschätzt hatte.
»Reverend Westbourne«, begann sie und versuchte ihre Stimme ruhig und erwachsen klingen zu lassen: »Es tut mir leid, aber…«
»Das kann Ihnen auch leid tun«, unterbrach er sie schroff. »Doch hier ist nicht der geeignete Ort, darüber zu sprechen.« Die Kutsche war langsamer geworden. »Ah, da sind wir ja endlich.«
Kitty hatte mit der
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