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Schneegestöber (German Edition)

Schneegestöber (German Edition)

Titel: Schneegestöber (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sophia Farago
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flachen Hand das Eis von ihrem Fenster weggeschmolzen. Nun sah sie, daß die Kutsche vor dem Pförtnerhaus zum Stehen gekommen war. Mit bedächtigen Schritten trat der alte Huckney ins Freie, um das große schmiedeeisene Tor zu öffnen. »Wir sind schon beim Pförtnerhaus, Mary Ann«, rief sie aus. »Das ist aber schnell gegangen. Komm, es ist besser, wir steigen hier aus.« Sie wandte sich dem Geistlichen zu. »Danke, daß Sie uns mitgenommen haben«, brachte sie zwischen zusammengepreßten Lippen hervor.
    Sie wollte eben den Schlag öffnen, als ein lautes Geräusch sie zusammenfahren ließ. Der Reverend hatte seinen Spazierstock in die Hand genommen und trommelte nun lautstark gegen die Decke. Der Pfarrdiener sprang vom Bock und blickte durch die vereisten Scheiben ins Wageninnere. Er hatte die Kapuze tief in die Stirn gezogen. Sein Gesicht war nicht wahrzunehmen, nur sein Atem hob sich deutlich gegen die kalte Winternacht ab.
    »Fahr er bis vor den Haupteingang zur Schule« befahl ihm der Pfarrer.
    »Dann steige ab, und wecke den Diener.«
    »Aber Reverend, Sir. Das ist doch nicht notwendig. Wir gehen gerne die wenigen Schritte zum Schulhaus hinauf. Nicht wahr, Mary Ann?«
    Diese nickte: »Ja, natürlich, Kitty. Es ist nicht nötig, Mr. Reinsborough aus dem Schlaf zu reißen. Wir finden einen Weg, ins Haus zu kommen, ohne jemanden zu wecken, Mr. Westbourne.«
    Der Geistliche machte eine ungeduldige Handbewegung: »Sie werden sich nirgendwo hineinschleichen, Miss Rivingston. Nicht, solange ich es verhindern kann. Dies hier ist ein ehrbares Haus, und ich werde es nicht dulden, daß sein Ruf durch zwei unbelehrbare Schülerinnen Schaden erleidet. Nun fahr schon zu!« herrschte er seinen Diener an. »Du tust, was ich dir gesagt habe.« Der Diener nickte und erklomm behende den Kutschbock. Die Kutsche setzte sich wieder in Bewegung. Es dauerte nicht lange, und der Backsteinbau tauchte vor ihnen auf. Er lag friedlich in der Dunkelheit. Kein Licht zeigte sich hinter den Fenstern. Sie mußten geraume Zeit warten, bis der betagte Diener das energische Klopfen an der Haustür gehört hatte. Den grauen, wollenen Hausmantel über das Nachthemd gezogen, die Schlafmütze noch auf seinem kahlen Kopf, erschien er im Türspalt, um sich zu erkundigen, wer zu so unchristlicher Stunde Einlaß begehrte. Seine dünnen, mit blauen Adern durchzogenen Füße steckten in dicken Filzpantoffeln. »Wer ist draußen?« fragte er mit rauher Stimme.
    »Hier ist Reverend Westbourne, guter Mann!« verkündete der Geistliche so laut, daß die Mädchen schon fürchteten, er würde das gesamte Haus aufwecken: »Ich bringe hier zwei Schülerinnen zurück. Seien Sie so gut, und begleiten Sie die jungen Damen auf ihr Zimmer, Mr. Reinsborough. Am besten, Sie schließen die Türe von außen ab, damit die beiden nicht auf weitere unpassende Gedanken kommen. Es ist nicht nötig, Mrs. Clifford noch in der Nacht Bescheid zu geben. Doch teilen Sie ihr mit, daß ich morgen um zehn Uhr vorsprechen werde. Ich habe der Schulleiterin einiges mitzuteilen.«
    Mit diesen Worten wandte er sich ab und ging erhobenen Hauptes zur Kutsche zurück, wo der Pfarrdiener bereits den Schlag geöffnet hatte. Weder Mary Ann noch Kitty würdigte er eines weiteren Blikkes.

VII.
    Mrs. Clifford saß steif aufgerichtet in ihrem Sessel und blickte starr geradeaus. Ihre bleichen, von zahlreichen Adern durchzogenen Hände waren höchst undamenhaft zu Fäusten geballt. Ein Benehmen, das sie bei ihren Schülerinnen nicht gutgeheißen hätte. Ihre schmalen Lippen waren zu einem bläulichen, verkniffenen Strich zusammengespreßt. Ohne ein Wort zu sagen, starrte sie auf die schmale Zimmertür, die zum Gang hinausführte und hinter der leise Schritte immer näher kamen. Neben ihr stand, die Arme hinter dem Rücken verschränkt, Reverend Westbourne. Er hatte die Schulleiterin soeben von den unseligen Ereignissen des vergangenen Abends in Kenntnis gesetzt. Wie nicht anders zu erwarten war, teilte Mrs. Clifford seine Entrüstung voll und ganz. Zwei Schülerinnen, die heimlich das Institut verließen, um an einem Ball teilzunehmen! Noch dazu in einem derart zweifelhaften Haus wie dem von Mrs. Nestlewood. Nicht auszudenken, wenn die Eltern der anderen Schülerinnen von diesem Skandal erführen. Mußte sie nicht damit rechnen, daß diese ihre Töchter umgehend nach Hause beorderten? Würde man den Namen ihrer Schule nur mehr mit gerümpfter Nase aussprechen, als Ort, in dem dem Laster Tür und Tor

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