Schneegestöber (German Edition)
fahren Sie fort, Mylord. Sie waren eben dabei, mir von dem spannenden Wettrennen zu erzählen, das Sie gestern in Glastonburry gewonnen haben. Wer, sagten Sie, war Ihr Kontrahent?«
»Miss Rivingston!« zischte der Reverend zwischen geschlossenen Zähnen hervor. »Entweder Sie kommen freiwillig mit mir, oder ich werde dafür sorgen, daß Mrs. Clifford umgehend verständigt wird.«
Mary Ann fuhr herum: »Nein!« rief sie aus. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie imstande sind, so etwas Gemeines zu tun.«
»So war meine Ahnung also richtig, daß Mrs. Clifford nichts von Ihrem Hiersein weiß. Ich muß sagen, Miss Rivingston, Sie haben mich zutiefst enttäuscht. Nie hätte ich Ihnen ein derart unschamhaftes Verhalten zugetraut. Und nun rate ich Ihnen, mir freiwillig zu folgen, wenn Sie nicht wünschen, daß ich Gewalt anwende.« Es war offensichtlich, daß der Geistliche auf das Äußerste empört war.
»Gewalt?« wiederholte der Baron ungläubig. »Belästigt Sie dieser Herr, Madam? Ich muß gestehen, ich verstehe nicht ganz, worum es hier geht. Doch wenn Sie meine Hilfe brauchen, Miss, ich stehe zu Ihren Diensten.«
»Sie halten sich hier raus«, herrschte der Reverend ihn an und packte Mary Ann am Oberarm. Diese wollte sich eben in das Unvermeidliche fügen. Sie hatte den Reverend noch nie derart außer Fassung erlebt.
»Lassen Sie die Dame sofort los!« meldete sich der Baron nun viel energischer zu Wort, und seine pausbäckigen Wangen glühten vor Empörung. Es hatte den Anschein, als würde nicht viel fehlen, und der beherzte junge Mann würde den Geistlichen zum Duell fordern. Mary Ann war den Tränen nahe. So hatte sie sich den Abend weiß Gott nicht vorgestellt. In diesem Augenblick bemerkte Kitty, daß sich der Reverend mit Mary Ann unterhielt. Sie war so damit beschäftigt gewesen, die Gunstbezeugungen von Mr. Nestlewood abzuwehren, daß ihr Mr. Westbournes Erscheinen im Ballsaal völlig entgangen war. Nun sah sie sein vor Zorn gerötetes Gesicht und Mary Anns zitternde Lippen. Man brauchte wahrlich kein Hellseher zu sein, um festzustellen, daß das Gespräch, das die beiden führten, nicht nach Mary Anns Vorstellungen verlief. Mit einer energischen Bewegung machte sie sich von ihrem Verehrer los und stürmte davon, um ihrer Freundin zu Hilfe zu kommen.
»Guten Abend, Reverend«, rief sie schon von weitem und bemühte sich um ein besonders freundliches Lächeln. »Wie schön, ein bekanntes Gesicht unter all diesen unbekannten Menschen zu entdecken.« Sie versank in einen tiefen Knicks.
»Ich hätte mir denken können, daß Sie auch da sind«, entgegnete Mr. Westbourne anstelle einer Begrüßung. Seine Stimme klang bitter.
»Ja natürlich hätten Sie sich das denken können«, erwiderte Kitty betont fröhlich. »Ich lasse es doch nicht zu, daß Mary Ann alleine einen Ball besucht. Ich bin ja sozusagen ihre Anstandsdame.«
Hatte Mr. Westbourne bisher, wenn auch nur mit Mühe, seine Fassung bewahrt, so drohte er sie nunmehr zu verlieren. Viel später in der Nacht, als er bereits wieder in seinem Haus war und sich auskleidete,fragte er sich selbst, was ihn derart hatte in Rage bringen können. Er galt doch im allgemeinen als besonnener junger Mann, dessen wohlüberlegte Handlungen und dessen ruhiges, gelassenes Temperament allgemein anerkannt wurden. Nicht einmal seinen älteren Brüdern war es je gelungen, ihn aus der Reserve zu locken. Und diese hatten doch weiß Gott alles mögliche unternommen, um ihn zu reizen und in Wut zu versetzen. Doch stets war es ihm gelungen, zumindest äußerlich ruhig und gelassen zu bleiben. Und hier, im vollen Ballsaal, vor all den vielen Menschen hatten ihn mit einemmal eben diese Ruhe und Gelassenheit verlassen.
Natürlich war daran Miss Rivingston schuld. Daran bestand kein Zweifel. Sie, die Frau, die er für würdig befunden hatte, einst seine Gemahlin zu werden, sie hatte ihn bitter enttäuscht. Sie war wie all die anderen schamlosen jungen Dinger. Er war wütend auf sich. Wie hatte er sich nur so täuschen können? Wie hatte er Miss Rivingston für eine kluge junge Frau mit gefestigter Moral halten können. Natürlich war es Miss Stapenhills Plan gewesen, heimlich den Ball zu besuchen. Als er sie im Saal sah, wie sie ihn anlächelte, als sei nichts geschehen, da hätte er ihr am liebsten den Hals umgedreht.
»Sie, Sie sind keine Anstandsdame«, brachte er mühsam hervor. »Sie sind ja nicht viel mehr als ein Kind«, mühsam rang er nach Luft. Mit einem Schlag
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