Schneegestöber (German Edition)
jetzigen Earl of St. James. Ich kenne Seine Lordschaft nicht, aber ich weiß, daß Tante Jane ihn nicht ausstehen kann! Also wird auch er sie nicht mögen. Und um sie zu ärgern, wird er unseren Plänen zustimmen. Verstehst du, was ich meine, Annie?«
»Unsere Pläne?« wiederholte Mary Ann verwundert. »Ich wußte nicht, daß wir Pläne haben.«
Kitty lachte auf: »Ich wußte es vor kurzem auch noch nicht«, gestand sie. »Doch nun weiß ich, was wir tun werden: Wir werden Lord St. James bitten, uns bei sich aufzunehmen. Sicher kennt er eine seriöse Dame, die unsere Anstandsdame sein kann. Denn soviel ichweiß, ist der alte Herr selbst nicht verheiratet. Wir werden unser Debüt haben, Annie. Wir beide, du und ich. Es sollte doch ein leichtes sein, den alten Herrn für uns zu gewinnen, nicht wahr? Und dann kann Tante Jane vor Wut zerplatzen, sie kann nichts dagegen unternehmen, wenn uns Seine Lordschaft in die Gesellschaft einführt. Noch dazu, da er mein Vermögen verwaltet…«
»John wird nicht zustimmen«, war alles, was Mary Ann hervorbrachte.
»Ach, John.« Kitty dachte gar nicht daran, sich ihre Zuversicht durch den Gedanken an Mary Anns langweiligen Bruder verderben zu lassen. »Wir werden ihn vor vollendete Tatsachen stellen. Wenn du erst einmal im Haus von St. James Aufnahme gefunden hast, dann kann sich auch dein Bruder nicht mehr dagegen aussprechen, ohne Seine Lordschaft tödlich zu beleidigen. Und überhaupt: Was soll er schon dagegen haben? Schließlich bist du mein Gast, und ich zahle für deinen Aufenthalt.«
»Du weißt, daß ich das nie annehmen könnte«, wehrte Mary Ann ab.
Kitty ergriff die Hände ihrer Freundin: »Ist ja nur geliehen«, beruhigte sie sie. »Wenn du fünfundzwanzig bist, zahlst du mir alles zurück. Mach dir darüber keine Sorgen. Ich habe genug Geld, ehrlich. Ich lasse es nicht zu, daß du unglücklich bist, nur weil John dir vorenthält, was dir von Rechts wegen an deinem einundzwanzigsten Geburtstag zustünde. Nein, Annie, es wird Zeit, daß du dich aus den Fängen deines Bruders befreist. Bald bist du volljährig. Heute ist bereits der sechste Dezember. Nur mehr wenige Tage bis zu deinem Geburtstag.«
»Deine Tante Jane wird das nie zulassen«, wandte Mary Ann ein. Sosehr sie es sich auch wünschte, sie konnte nicht glauben, daß Kittys aufregender Plan tatsächlich Wirklichkeit werden könnte.
»Natürlich wird sie wütend sein«, gab Kitty zu, und aus ihrem Gesichtsausdruck wurde deutlich, daß ihr dieser Gedanke alles andere als unangenehm war. »Aber Seine Lordschaft verwaltet mein Vermögen. Also ist es sein Wort, das zählt. Alles, was wir jetzt noch müssen, ist nach London gelangen. Dann werden wir den alten Herrn aufsuchen und ihn für unseren Plan gewinnen. Hast du etwa einenZweifel daran, daß wir das schaffen? Welcher alte Herr ist nicht entzückt davon, zwei so reizende junge Damen bei sich aufzunehmen?« Sie lachte vergnügt auf, als sie Mary Anns skeptisches Gesicht sah.
Dieses Lachen wirkte ansteckend, und schließlich stimmte auch Mary Ann darin ein. Vergnügt tanzten sie durchs Zimmer.
Erschöpft und außer Atem ließen sie sich schließlich auf das Bett fallen. Nun war also der Plan gefaßt. Sofort begannen sie damit, ihn zu verwirklichen. Zuerst waren die Vorstellungen vage, wie sie nach London gelangen konnten. Sie würden Kittys Kutsche nehmen, das stand fest. Doch wie weit war es bis London? Wie oft mußte man übernachten? Reichte das Geld, das Kitty noch besaß, für mehrere Übernachtungen in den besten Poststationen? Wie fand man sich in der Hauptstadt zurecht? London war groß. Wie sollten sie die Brook Street finden, in der St. James wohnte?
»Am besten, wir fragen Al«, schlug Mary Ann schließlich vor. »Vielleicht haben wir Glück, und er war schon einmal in London. Vielleicht kennt er sich dort aus.«
»Al!« Kitty machte eine wegwerfende Handbewegung. »Al Brown kennt höchstens York und diesen Landstrich hier. Ich kann mir nicht vorstellen, daß er uns irgendwie behilflich sein kann. Aber bitte, schaden kann es nicht, wenn wir ihn fragen.«
»London!« rief Al entgeistert, als er, von Mary Ann geholt, wenig später in die Neuigkeiten eingeweiht worden war. »Sie können doch nicht im Ernst daran denken, nach London zu reisen, Missy. Eine Nacht allein in einer gottverlassenen Poststation. Nur Sie beide. Sie haben keine Anstandsperson. Ihre Verwandten werden nie und niemals die Zustimmung zu so einem waghalsigen Unternehmen
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