Schneeköniginnen
heraus, betrogen zu werden.
Teresa Kokoszka hieß ebenfalls nur in
ihrer Funktion als Wahrsagerin so, ihr wirklicher Name war Marylou Tucker, aber
alle nannten sie Teresa. Anne taufte ihr neues Domizil im stillen »das Haus der
falschen Namen«.
»Sag mal«, wandte sich Anne an Lis,
die so etwas wie die Hausherrin darstellte, offensichtlich finanzierte sie die
Nobelunterkunft zum größten Teil, »das Zimmer, in dem ich schlafe, wem gehört
es?«
»Freund Pepper. Macht gerade Urlaub
auf Mauritius. Soll da ein paar spezifische Sorten geben.«
»Pepper, aha.« Gleich als sie den Raum
bezogen hatte, war ihr ein ganzes Regal voll mit Dosen, Flaschen und Gläsern
aufgefallen. In ausnahmslos allen befand sich Pfeffer. Pfeffer in den
unterschiedlichsten Farbtönen, gemahlen, geschrotet oder ganz, dazu ein
Sammelsurium von Pfeffermühlen.
»Er sammelt wohl...«
»Er frißt ihn«, fiel ihr Lis ins Wort.
»Das stimmt nicht«, präzisierte
Teresa, »er schnupft ihn.«
»Er schnupft Pfeffer?« Man hatte ja
schon von manchen Exzentrizitäten gehört, aber daß jemand Pfeffer schnupfte...
»Es ist eine Sucht«, richtete nun
Gordon zum ersten Mal das Wort an sie. »Es ist nicht gerade gesund, wie du dir
sicher vorstellen kannst. Zerfrißt die Schleimhäute. Aber er kommt nicht los
davon.«
Teresa erhob sich, wobei wieder alles
an ihr klirrte und rasselte, und murmelte im Hinausgehen etwas von einem
Telefongespräch. Die anderen widmeten sich wieder ihren Bagels. Wenig später
stand Katie auf und winkte Anne, mitzukommen.
»Wohin des Weges?« fragte Lis in
lauerndem Ton.
»Och, nirgends.«
»Katie!«
»Bloß noch dies eine Mal!«
»Erzähl mir dann, wie es war«, befahl
Lis, und schon witschte Katie aus der Küche und zog die verständnislose Anne hinter
sich her. Sie durchquerten die ehemalige Lagerhalle. Sie wirkte wie eine
perfekte Kopie aus einer dieser Lifestyle-Gazetten. Tatsächlich war das Loft
schon einmal im New York Times Magazine abgebildet gewesen: »So lebt Jungstar
Li Fleury aus der Serie... undsoweiter.«
Anne blieb auf’s neue fasziniert vor
einer drei, vier Meter hohen — na, was eigentlich — Skulptur, im Zentrum der
Halle stehen, die zugleich den Mittelpunkt dieser Multi-Kulti-Sammlung bildete.
Das Ungetüm bestand aus farbig lackierten Autoreifen und war vermutlich die
etwas eigenwillige Interpretation der Venus von Willendorf. Der Titel des
Werkes lautete »Urmutter«, böse Zungen hängten ihr den Untertitel »die
Runderneuerte« an.
»Katie, weißt du, warum ausgerechnet
dieser eine Reifen in der Mitte schwarz gelassen wurde?«
»Muß ich dir das wirklich erklären?«
lachte Katie. Anne runzelte die Stirn. »Ich finde, dieser sogenannte Künstler
sollte mal dringend zum Psychiater!«
»Er ist Psychiater.«
»Ach so.«
Katie erklomm eine freischwebende Metalltreppe
und blieb vor einer angelehnten Tür stehen. Sie winkte Anne hastig zu sich und
legte den Finger an den Mund. Leise wie eine Meuchelmörderin öffnete Katie die
Tür einen Spalt. Er gab den Blick auf ein apokalyptisches Durcheinander frei.
Es sah aus wie ein New-Age-Laden kurz nach einem Erdbeben der Stärke acht.
Mitten im Raum, auf einem ledernen Kamelhocker, thronte, etwas breitärschig
aber in majestätischer Haltung, Teresa. Teresa Kokoszka, die Schamanin, die
Hexenmeisterin! Es fehlten eigentlich nur die Kristallkugel und der Rabe auf
der Schulter.
Teresa drehte ihnen den Rücken zu. Sie
lackierte sich die Fußnägel, schneeweiße Wattebällchen leuchteten zwischen
ihren dunkelbraunen Zehen, neben ihr lag leise schnarchend ein weißbrauner Hund,
Marke Hinterhof. Dort, wo eigentlich der Rabe hingehörte, klemmte ein
schnurloses Telefon. Und was man so hörte, hatte mit Wahrsagerei auch nicht
allzuviel zu tun.
»...komme gerade aus der Badewanne,
mein Körper ist jetzt überall weich und warm«, hauchte Teresa soeben mit
rostiger Stimme in den Hörer, »...und jetzt öle ich mich ein.«
Eine glatte Lüge.
»Langsam und ganz zart... den Hals,
die Brüste...«
Die Frage des Anrufers ließ sich
leicht erraten, denn Teresa antwortete, ihre Zehen-Pinselei unbeirrt
fortsetzend: »Sie sind groß und schwer, und schneeweiß...«
Schneeweiß!?
»...ah, jetzt reibe ich an den
Nippeln. Ich stelle mir vor, es wären deine Hände, kannst du dir das auch
vorstellen? Jetzt werden sie hart... aah!« Sie wechselte gemächlich den Fuß, tauchte
den kleinen Pinsel in das Lackfläschchen und forderte drängend: »Los, nimm
Willy in
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