Schneemann
Atmete durch die Nase. Ganz deutlich konnte er jetzt den Duft ihrer Möse riechen.
“Haben Sie Kinder, Katrine?”
” Wollen Sie, dass ich Kinder habe?” “Ja.”
“Warum?”
“Weil Frauen, die schon neues Leben geschaffen haben, es gewohnt sind, sich der Natur zu unterwerfen. Das gibt ihnen mehr Lebenserfahrung als anderen Frauen oder Männern.”
“Bullshit. “
“Doch. Weil sie deshalb nicht so verzweifelt nach einem Vater suchen. Sondern bloß mitspielen wollen.”
“Okay”, erwiderte sie lachend. “Dann habe ich Kinder. Was würden Sie denn gerne spielen?”
“Hoppla”, sagte Stop und sah auf die Uhr. “Jetzt legen Sie aber ein ganz schönes Tempo vor.” “Was spielen Sie denn gerne?” “Alles.”
“Gut.”
Der Sänger schloss die Augen, packte das Mikrofon mit beiden Händen und warf sich in das Crescendo des Songs.
“Das Fest ist langweilig, ich werde jetzt nach Hause gehen.” Stop stellte sein leeres Glas auf ein Tablett, das vorbeisegelte. “Ich wohne in Aker Brygge. Der gleiche Hauseingang wie Liberal, oberste Etage. Oberster Klingelknopf.”
Sie lächelte dünn. “Ich weiß, wo das ist. Wie viel Vorsprung willst du?”
“Gib mir zwanzig Minuten, und versprich mir, mit niemandem zu reden, bevor du gehst. Nicht mal mit deiner Freundin. Ist das abgemacht, Katrine Bratt?”
Er sah sie an und hoffte, den richtigen Namen gesagt zu haben. “Glaub mir”, versicherte sie ihm, und er bemerkte den seltsamen Glanz in ihrem Blick, wie der Widerschein eines Waldbrandes am Himmel. “Mir ist nicht minder daran gelegen, dass das ganz unter uns bleibt. Eher im Gegenteil.” Sie hob ihr Glas. “Und im Übrigen hast du sie viermal gefickt, nicht dreimal.”
Stop warf ihr einen letzten Blick zu und ging dann auf den Ausgang zu. Hinter ihm vibrierte noch immer ganz schwach das Falsett des Sängers unter den Kronleuchtern.
Eine Tür knallte, und laute, hektische Rufe hallten durch die Seilduksgata. Vier Jugendliche, die von einer Party kamen und jetzt in eine Bar in Grünerlokka wollten. Sie gingen an dem Auto vorbei, das am Straßenrand geparkt war, ohne den Mann zu bemerken, der darin saß. Als sie um die Ecke verschwunden waren, wurde es wieder still. Harry beugte sich zur Windschutzscheibe vor und sah zu den Fenstern von Katrine Bratts Wohnung hoch.
Er hätte Hagen anrufen können, er hätte Alarm schlagen und mit Skarre und weiterer Verstärkung anrücken können. Aber er konnte sich ja auch irren. Er musste also erst ganz sicher sein, denn sowohl er als auch sie hatten viel zu verlieren.
Er stieg aus dem Auto, ging zur Haustür und drückte dreimal die unbeschriftete Klingel in der dritten Etage. Wartete. Klingelte noch einmal. Dann ging er zurück zum Wagen, holte ein Brecheisen aus dem Kofferraum, ging zur Tür zurück und klingelte im Erdgeschoss. Eine Männerstimme meldete sich verschlafen, im Hintergrund hörte Harry einen Fernseher. Fünfzehn Sekunden später war der Mann unten und öffnete. Harry zeigte ihm seinen Polizeiausweis.
“Ich hab gar keinen Streit gehört”, meinte der Mann. “Wer hat Sie denn gerufen?”
“Ich finde allein wieder raus”, antwortete Harry. “Danke für Ihre Hilfe.”
Auch an der Tür in der dritten Etage war kein Namensschild angebracht. Harry klopfte, legte ein Ohr auf das kalte Holz und lauschte. Dann zwängte er die Spitze des Brecheisens knapp über dem Schloss zwischen Tür und Rahmen. Da die Häuser in Grünerl0kka seinerzeit für die Arbeiter der Fabriken am Akerselva gebaut worden waren, hatte man kaum Wert auf qualitativ hochrangiges Material gelegt, so dass Harrys zweiter Einbruch im Laufe von nur einer Stunde sehr rasch über die Bühne ging.
Er blieb ein paar Sekunden im dunklen Flur stehen und lauschte, ehe er das Licht einschaltete. Vor ihm stand ein Schuhregal mit sechs Paar Schuhen. Keines davon groß genug, um einem Mann zu gehören. Er hob die Stiefel an, die Katrine am Tag getragen hatte. Die Sohlen waren noch immer feucht.
Dann ging er ins Wohnzimmer. Schaltete die Taschenlampe statt der Deckenbeleuchtung ein, damit sie von der Straße aus nicht bemerkte, dass sie Besuch bekommen hatte.
Der Lichtkegel huschte über einen abgeschliffenen Kiefernboden mit großen Spalten zwischen den Dielen, ein einfaches, weißes Sofa, niedrige Regale und einen Linon-Verstärker. An der Wand
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waren ein Alkoven mit einem schmalen, gemachten Bett und eine Küchenzeile mit Backofen und Kühlschrank. Der Eindruck war streng,
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