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Schneemann

Schneemann

Titel: Schneemann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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Zentrale.”
    Katrine knüllte das Butterbrotpapier zusammen, zielte auf den Mülleimer, der hinter Skarre stand, und warf. Er brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, dass sie getroffen hatte. Als sie den Aktenordner zuklappte und aufstand, hatte er sich wieder einigermaßen gefangen.
    “Ich weiß nicht, was du dir einbildest, Bratt. Du bist eine verheiratete Schnalle, die zu Hause wahrscheinlich nicht das kriegt, was sie will, und deshalb auf einen Kerl wie mich hofft, der bereit ist, sich … sich … ” Er fand die richtigen Worte nicht. Verflucht, er fand die richtigen Worte nicht. “Ich hab dir doch nur angeboten, dir ein paar grundlegende Sachen beizubringen, du … du alte Schlampe.”
    In diesem Moment war es, als würde vor ihrem Gesicht eine Gardine zur Seite gezogen, so dass er mit einem Mal direkt in die Flammen blickte. Einen Moment lang war er überzeugt, sie würde ihm eine knallen. Aber nichts geschah. Als sie wieder sprach, wurde ihm klar, dass er das alles bloß in ihrem Blick gelesen hatte, sie hatte keinen Finger gerührt, und ihre Stimme klang vollkommen beherrscht:
    “Tut mir leid, wenn ich dich missverstanden habe”, sagte sie, doch ihr Gesicht zeigte, für wie unwahrscheinlich sie das hielt. “Außerdem hat Martin Cooper bei seinem ersten Gespräch nicht seine Frau angerufen, sondern seinen Konkurrenten Joel Engel in den Bell Laboratories. Was meinst du, wollte er ihm etwas beibringen, Skarre? Oder wollte er bloß protzen?”
    Skarre blickte ihr nach und sah, wie sich ihr Rock um den Po schmiegte, als sie auf den Ausgang zuschritt. Verdammt, diese Frau war der vollkommene Wahnsinn! Am liebsten wäre er aufgesprungen und hätte ihr irgendetwas hinterhergeschmissen. Aber er wusste, er hätte nicht getroffen. Außerdem war es wahrscheinlich sowieso besser, sitzen zu bleiben, denn er hatte Angst, seine Erektion könnte noch immer zu sehen sein.
    Harry spürte, wie sich seine Lungen gegen die Innenseiten seiner Rippen pressten. Sein Atem beruhigte sich langsam wieder. Nicht so sein Herz, das hektisch in seiner Brust trommelte. Die Trainingsklamotten waren vom Schweiß durchnässt und schwer, als er am Waldrand beim Ekeberg-Restaurant stehen blieb.
    Dieses ehemalige Szene-Restaurant aus der Zwischenkriegszeit war einmal Oslos ganzer Stolz gewesen, schließlich thronte es hoch oben am Hang im Osten der Stadt. Doch irgendwann waren die Menschen nicht mehr bereit gewesen, den weiten Weg vom Zentrum bis hinauf zum Wald auf sich zu nehmen, so dass sich der Betrieb nicht mehr gelohnt hatte, das Haus war verfallen und hatte sich in eine Spelunke für abgehalfterte Salonlöwen, alternde Trinker und einsame Seelen auf der Suche nach anderen einsamen Seelen verwandelt. Zu guter Letzt war das Restaurant geschlossen worden. Harry fuhr gern hier hinauf, raus aus der gelben Smogglocke, die über der Stadt lag. Dann joggte er über das Wirrwarr der Wege, über die steilen Anstiege, die ihm Widerstand boten und die Milchsäure in seinen Muskeln brennen ließen. Er setzte sich gern hier oben auf die regennasse, überwucherte Terrasse der schiffbrüchigen Restaurant-Schönheit und blickte über die Stadt, einst seine Stadt, die jetzt aber nur noch seine Konkursverwalterin war und seine ehemalige Liebe beherbergte. Die Stadt lag in einem Kessel, umgeben von Höhenzügen. Die einzige Rückzugsmöglichkeit war der Fjord. Die Geologen behaupteten, Oslo sei ein toter Vulkankrater. Und an Abenden wie diesem malte sich Harry manchmal aus, all die Lichter der Stadt seien kleine Perforationen der Erdkruste, durch die die glühende Lava hindurchschimmerte. Ausgehend vom Holmenkollen, der wie ein weißes, hell erleuchtetes Komma auf dem Höhenzug der anderen Seite der Stadt lag, versuchte er zu berechnen, wo Rakels Haus lag.
    Er dachte an den Brief. Und an das Telefongespräch mit Skarre, der ihn gerade über die Signale von Birte Beckers verschwundenem Handy informiert hatte. Sein Herz schlug jetzt ruhiger und sandte ruhige, regelmäßige Signale an sein Hirn, dass er noch immer am Leben war. Wie ein Handy an eine Basisstation. Herz, dachte Harry. Signal. Brief. Was für ein kranker Gedanke. Aber warum hatte er ihn dann nicht längst verworfen? Warum überlegte er dann bereits, wie lange es dauern würde, zurück zum Auto zu laufen, nach Hoff zu fahren und zu überprüfen, wer hier kränker war?
    Rakel stand am Küchenfenster und sah zu den Fichten, die den Blick zu den Nachbarn versperrten. Auf einem Treffen mit

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