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Schneemond (German Edition)

Schneemond (German Edition)

Titel: Schneemond (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kohlpaintner
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kommen. Er tastete nach einer kleinen, scharfen Steinklinge und fügte dem jungen Jäger schnell und sicher drei Schnitte auf der Brust zu, die dieser klaglos und fast ohne eine Miene zu verziehen über sich ergehen ließ. Schließlich tauchte der Alte seine Finger in das Blut des Tieres und zeichnete damit die Schnitte auf der Brust des Jungen nach.
    Indem sich das Blut des Jägers mit dem seiner Beute vermischte, wussten die Geister nun, dass er das Opfer des erlegten Tieres achtete und ihm dankte, für sein Fleisch, welches ihn am Leben erhielt. Jäger und Beute hingen voneinander ab und keiner stand über dem anderen.
    Er legte dem Jungen, der nun zum Mann geworden war, die Hände auf die Schultern und murmelte segnende Worte. Endlich lächelte der Alte dem jungen Mann zu und die Jäger sprangen auf und kündeten, laut johlend, von seiner Mannbarkeit. Der Junge richtete sich voller Stolz auf, breitete die Arme aus und drehte sich im Kreis der Jäger, jetzt Gleicher unter Gleichen..
    Das Fest am Abend war, wie es das Mädchen erhofft hatte, ausgelassen und fröhlich. An den Feuern überschlugen sich die Jäger mit ihren Erzählungen, in denen einer den anderen zu übertreffen suchte und die Frauen und Kinder saßen dabei und lachten und klatschten. Einzig der Schamane saß, würdevoll, wie es seinem Rang gebührte, etwas abseits und sang leise vor sich hin.
    Immer wieder erhob sich einer der Jäger oder eine der Frauen und überbrachten dem Alten ein Stück Fleisch oder Früchte. Und ein ums andere mal berührte der alte Mann die Menschen, die ihn beschenkten, sanft und flüsterte ihnen segnende und Glück verheißende Worte zu. Der Schamane war, gemessen an der Lebenserwartung dieser Menschen, mit mehr als vierzig Jahren, uralt und nun fast erblindet, doch erkannte er alle Menschen seinesClans an der Berührung, oder ihren Stimmen.
    Er wusste, dass er nicht mehr viele Monde erleben würde und das Herz war ihm schwer, weil er noch keinen Nachfolger für sich erkannt hatte. Immer wieder sang er zu seinem Totem, dem gestreiften Mungo, er möge ihn führen bei seiner Suche und ihn leiten bei seiner Wahl, die der Stamm so dringend brauchte.
    Langsam näherte sich das Mädchen, demütig und zurückhaltend, dem Feuer des Schamanen, in ihrer Hand die geflochtene Schnur. Noch vor wenigen Augenblicken war ihr das kleine Kunstwerk, das sie heute geschaffen hatte, als geeignetes Geschenk für den geistigen Führer des Stammes erschienen. Doch jetzt, da sie sich anschickte, an sein Feuer zu treten, war sie sich dessen nicht mehr so sicher.
    Der Alte hatte das Mädchen bereits gehört und bedeute ihr, näher zu ihm zu kommen. Er streckte seine Hand aus und das Mädchen legte klopfenden Herzens ihr Geschenk hinein. Stumm saß sie am Feuer und beobachtete, wie der Schamane die Schnur in seinen Händen drehte und sie immer wieder betastete.
    »Danke Sar«, sagte er leise mit rauer, kehliger Stimme zu ihr, »das ist ein sehr schönes Geschenk.«
    Sein anerkennendes Lächeln machte das Mädchen glücklich und der Alte legte ihr die Hand zärtlich auf die Wange – und erschrak!
    Im Bruchteil einer Sekunde wurde er gewahr, welche geistige Kraft in diesem Kind schlummerte. Verstört und verunsichert zog er seine Hand zurück und schloss die Augen. Sollte seine Suche schließlich erfolgreich gewesen sein? Aber dieses kleine Mädchen? Doch die Geister erwählten die, die sie für würdig erachteten, ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht – keiner wusste das so gut wie er.
    Er schickte das Mädchen mit einigen guten Worten von seinem Feuer weg und versuchte sich über die Bedeutung dieser Erkenntnis klar zu werden.
    Das Mädchen entfernte sich, ging jedoch nicht zurück an die Feuer der Familien, sondert wandte sich dem Höhleneingang zu und setzte sich dort auf die Erde, an einen großen Stein gelehnt und sah voller Ehrfurcht zum sternenklaren Himmel auf, der sich funkelnd über die nächtliche Savanne wölbte. Sie spürte, seit der Berührung des Schamanen, eine große Unruhe in sich und hoffte, dass der Anblick der Sternenlichter sie auf andere Gedanken bringen würde.
    Doch das Gefühl der Unruhe blieb.
    Die Nacht schritt fort und langsam döste das Mädchen, zusammengekauert, am Höhleneingang, ein. Die schweren Lider fielen ihr zu und ihr Atem wurde flacher.
    Doch kaum war sie eingeschlafen, schreckte sie auch schon wieder hoch, sah sich verwirrt um und ein spitzer Schrei entfuhr ihren Lippen.
    Die Welt war verschwunden!

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